Von 1970 bis 2005 stand Norbert Singer in Diensten des Stuttgarter Autobauers. Er war vom 917er bis zum 911 GT1 98 an der Entwicklung der Porsche-Rennwagen beteiligt. Wie kommt man als Maschinenbau-Ingenieur zu solch einem Traumjob? „Durch Zufall“, antwortet Singer. „Eigentlich hatte ich mich während meines Studiums in München auf Luft- und Raumfahrttechnik spezialisiert.“

 

Im Sommer 1967 begleitet er einen Kommilitonen zum Großen Preis von Deutschland an den Nürburgring. Sofort ist Norbert Singer vom Motorsport fasziniert. Im Jahr darauf besucht er den Grand Prix von Monaco, wo sich seinerzeit mitten in Monte Carlo die Teams in Garagen am Bürgersteig einmieten. Singer schaut den Konstrukteuren über die Schulter, vergleicht die Formel-1-Wagen miteinander, kommt mit Mechanikern und Fahrern ins Gespräch. War das der Moment, in dem die Begeisterung für schnelle Autos die Begeisterung für die Raumfahrt ablöste? „Na ja“, sagt er mit einem Schulterzucken, „es war halt interessant, aber ich hätte mir damals nie vorstellen können, dass mich der Rennsport ein Berufsleben lang beschäftigen würde.“

Am 1. März 1970 wird Norbert Singer in der Rennsportabteilung von Porsche angestellt. Vom ersten Arbeitstag an ist er für das ambitionierte Le-Mans-Projekt eingeteilt. Zunächst modelliert er eine Getriebebelüftung. Es folgt ein kometenhafter Aufstieg zum Projektleiter und zum Leiter Werksport. Heute gilt Singer als Grandseigneur unter den Renningenieuren. Wenn er in seinen Vorlesungen an der Esslinger Hochschule erklärt, wie Kolben, Zylinderköpfe oder Pleuelstangen beschaffen sein müssen, um stundenlang fünfstellige Drehzahlen zu verkraften, dann lauschen ihm seine Studenten wie einem Guru.

Zu Hause auf den Rennstrecken dieser Welt

Seine beispiellose Erfolgsserie in Le Mans hat aus Norbert Singer eine lebende Legende gemacht. Obwohl er seit bald einem Jahrzehnt offiziell im Ruhestand ist, steht er nach wie vor jährlich Mitte Juni an der Rennstrecke im Nordwesten Frankreichs. Seit 2011 berät er den Automobile Club de L’Ouest (ACO), den Veranstalter des Rennens. Als er gefragt wurde, was seine Bedingungen für diese Tätigkeit seien – man dachte an die Bezahlung, die Spesen, einen schriftlichen Vertrag –, antwortete Norbert Singer: „Freier Eintritt zum Rennen, ein Leben lang.“ Ein Handschlag besiegelte die Abmachung.

Ein Rennwagen ist eine hochkomplizierte Konstruktion, doch Singer erkennt sofort: die Reifen haben nicht mehr genügend Haftung. Alle zehn bis 15 Minuten kommt der Porsche ohnehin zum Auftanken an die Box. Also bei der Gelegenheit schnell runter mit den maroden Pneus und frische drauf. Anschließend läuft es wieder rund. Knapp zwölf Stunden später steht der Porsche 936 als Gesamtsieger fest: Mit 4825 gefahrenen Kilometern hat er einen neuen Distanzrekord für den Circuit des 24 Heures aufgestellt – mit 186 Kilometern Vorsprung auf den Zweitplatzierten. Eine Demonstration der Stärke.

Jubel in der Porsche-Box. Hände werden geschüttelt, Schultern geklopft. Das Technikerteam um Norbert Singer hat ein Auto entwickelt, dass die Konkurrenz locker abhängt. Und das Fahrergespann Jacky Ickx/ Derek Bell war fehlerfrei unterwegs – mit einer Höchstgeschwindigkeit auf der Geraden von 400 Kilometern pro Stunde. „Wir treffen uns dann gleich im Café du Sport“, brüllt einer. Der Besuch des Restaurants gehört für die Porsche-Mitarbeiter zur Le-Mans-Tradition. Dort steht Madame Peschard persönlich am Herd, zu jeder Zeit kocht sie für das schwäbische Team französische Hausmannskost, dazu gibt es jede Menge Rotwein.

Die Müdigkeit beißt Norbert Singer in den Augen. Seit wie vielen Stunden er jetzt auf den Beinen ist? Vor mehr als 24 Stunden hat das Rennen begonnen, zuvor musste er letzte Vorbereitungen am Auto treffen und den Mechanikern viele Fragen beantworten. Zudem hat er in der Nacht auf Samstag vor Aufregung schlecht geschlafen. Aber Madame Peschards vorzügliche Küche und die Glückshormone halten ihn vorerst wach. Ein Jahr lang hat Singer mit seinem Team auf diesen Moment hingearbeitet. Es ist der sechste Gesamtsieg, den der Chefkonstrukteur mit dem Porsche-Team beim bedeutendsten Sportwagenrennen der Welt feiert, am Ende seiner Karriere werden 16 Le-Mans-Erfolge seine Vita schmücken.

Von der Raumfahrt zum Motorsport

Von 1970 bis 2005 stand Norbert Singer in Diensten des Stuttgarter Autobauers. Er war vom 917er bis zum 911 GT1 98 an der Entwicklung der Porsche-Rennwagen beteiligt. Wie kommt man als Maschinenbau-Ingenieur zu solch einem Traumjob? „Durch Zufall“, antwortet Singer. „Eigentlich hatte ich mich während meines Studiums in München auf Luft- und Raumfahrttechnik spezialisiert.“

Im Sommer 1967 begleitet er einen Kommilitonen zum Großen Preis von Deutschland an den Nürburgring. Sofort ist Norbert Singer vom Motorsport fasziniert. Im Jahr darauf besucht er den Grand Prix von Monaco, wo sich seinerzeit mitten in Monte Carlo die Teams in Garagen am Bürgersteig einmieten. Singer schaut den Konstrukteuren über die Schulter, vergleicht die Formel-1-Wagen miteinander, kommt mit Mechanikern und Fahrern ins Gespräch. War das der Moment, in dem die Begeisterung für schnelle Autos die Begeisterung für die Raumfahrt ablöste? „Na ja“, sagt er mit einem Schulterzucken, „es war halt interessant, aber ich hätte mir damals nie vorstellen können, dass mich der Rennsport ein Berufsleben lang beschäftigen würde.“

Am 1. März 1970 wird Norbert Singer in der Rennsportabteilung von Porsche angestellt. Vom ersten Arbeitstag an ist er für das ambitionierte Le-Mans-Projekt eingeteilt. Zunächst modelliert er eine Getriebebelüftung. Es folgt ein kometenhafter Aufstieg zum Projektleiter und zum Leiter Werksport. Heute gilt Singer als Grandseigneur unter den Renningenieuren. Wenn er in seinen Vorlesungen an der Esslinger Hochschule erklärt, wie Kolben, Zylinderköpfe oder Pleuelstangen beschaffen sein müssen, um stundenlang fünfstellige Drehzahlen zu verkraften, dann lauschen ihm seine Studenten wie einem Guru.

Zu Hause auf den Rennstrecken dieser Welt

Seine beispiellose Erfolgsserie in Le Mans hat aus Norbert Singer eine lebende Legende gemacht. Obwohl er seit bald einem Jahrzehnt offiziell im Ruhestand ist, steht er nach wie vor jährlich Mitte Juni an der Rennstrecke im Nordwesten Frankreichs. Seit 2011 berät er den Automobile Club de L’Ouest (ACO), den Veranstalter des Rennens. Als er gefragt wurde, was seine Bedingungen für diese Tätigkeit seien – man dachte an die Bezahlung, die Spesen, einen schriftlichen Vertrag –, antwortete Norbert Singer: „Freier Eintritt zum Rennen, ein Leben lang.“ Ein Handschlag besiegelte die Abmachung.

Singer sagt, dass er etwa die Hälfte des Jahres nicht in Vaihingen an der Enz, sondern auf den Rennstrecken der Welt zu Hause gewesen sei. Beim Höhepunkt der Saison, dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans, war anfangs auch seine Frau dabei. Mal fungierte Doris Singer als Köchin für das Team, mal kümmerte sie sich um die Zeitnahme. Dass sie, eigentlich Sekretärin des Porsche-Entwicklungsvorstands, solche Nebentätigkeiten wahrnahm, war in den 70er Jahren nichts Ungewöhnliches. „Damals war eben vieles anders“, sagt Norbert Singer. Keine Videoübertragung des Rennens in die Boxengasse, kein Funkverkehr mit den Fahrern.

Überhaupt der Mythos Le Mans: „Irgendwie ist das Rennen etwas ganz Besonders“, sagt Singer, „schwer zu beschreiben.“ Man merkt, wie er in seinem Gedächtnis nach einem Ereignis kramt, das für den unberechenbaren Wettkampf steht, bei dem Mensch und Material permanent an ihre Grenzen geraten. Dann hat er sie gefunden, die passende Geschichte. Norbert Singer lehnt sich entspannt zurück und erzählt.

Das Desaster vom 15. Juni 1997

Sonntag, 15. Juni 1997, gegen halb zwei am Nachmittag. Es herrscht ideales Rennwetter: bewölkt, trocken, angenehme Temperatur. Die Stimmung ist gelöst in der Box des Porsche-Werksteams. Mit zwei 911 GT1 ist man aus Stuttgart nach Nordfrankreich gereist, bereits beim Start war man der Favoritenrolle gerecht geworden, die beiden eingesetzten Fahrzeuge hatten sofort die Führung übernommen. Dass ausgerechnet dem erfahrenen Piloten Bob Wollek ein Fahrfehler unterläuft und er seinen GT1 hinter der Arnage-Kurve in die Leitplanken setzt, ist zwar ärgerlich, aber man liegt ja noch mit dem zweiten Wagen souverän vorne. Singer schaut auf die Monitore. „Wir haben keinen Positionskampf auf den vorderen Plätzen“, analysiert er. „Das müsste schon gut gehen.“ Doch zweieinhalb Stunden vor dem Ziel steht der Porsche 911 GT1 plötzlich in Flammen: Der Ölschlauch ist gerissen – und die Siegträume sind geplatzt.

„Es ist eben erst zu Ende, wenn es zu Ende ist“, sagt Norbert Singer heute. Ungeheuer bitter sei das Rennen von 1997 gewesen, bei dem kein Porsche-Werksfahrzeug ins Ziel kam. Seine Erfahrung jedoch habe ihn gelehrt: „In Le Mans gleicht sich alles aus.“ 1998, im Jahr nach dem Desaster, lag ein Toyota scheinbar uneinholbar vorne, bis er mit einem Motorschaden liegen blieb. Das Porsche-Werksteam landete auf den Plätzen eins und zwei, und Singer erklärte den Journalisten: „Das Pech vom vorigen Jahr haben wir heute als Glück zurückbekommen.“

Es gehört zu Singers Erfolgsrezept, dass er jeder Erfahrung etwas Positives abgewinnen kann. „Wenn man Misserfolge hatte“, sagt er, „dann weiß man die Erfolge besser zu schätzen.“ Diese geradezu buddhistische Gelassenheit hat er nicht erst mit dem Rentenalter entwickelt. Wenn er als Leiter Werksport seine taktischen Entscheidungen traf, war er kaum aus der Ruhe zu bringen. „Seine Devise war: Es kommt, wie es kommt“, sagt der Rennfahrer Jochen Mass über Singer. „Und wenn er dennoch mal sauer war, hat er am Ende seiner Worte schon wieder gelächelt.“

Ein Cocktail aus Emotionen

Das Telefon klingelt. Die Firma Porsche ruft an, sie möchte dem verdienten ehemaligen Mitarbeiter Eintrittskarten für den Circuit des 24 Heures schenken. Das Gespräch ist nach zwei Minuten beendet, Norbert Singer bedankt sich freundlich und erklärt der Dame am Telefon, dass er bereits mit Tickets versorgt sei.

An diesem Wochenende nimmt Porsche erstmals seit 16 Jahren wieder mit einer Werksmannschaft an dem Klassiker in Le Mans teil. Es ist ein besonderer Moment für das Unternehmen. Auch für Singer? „Klar, da werde ich schon ein bisschen genauer hinschauen“, sagt er. Am liebsten würde Norbert Singer wohl noch immer in der Porsche-Box stehen und die Sportwagen aus Zuffenhausen zum Sieg führen. Ihm fehlt der berauschende Cocktail aus Emotionen, wenn Männer am Rande ihrer Belastbarkeit für den sportlichen Erfolg kämpfen.

Sonntag, 14. Juni 1981, es geht auf Mitternacht zu. In Madame Peschards Café du Sport wird gefeiert. Das komplette Team hat sich eingefunden in der Gaststube, es lässt seiner Freude über den Sieg beim 24-Stunden-Rennen freien Lauf. Norbert Singer sitzt vor einem Glas Rotwein und dem von Madame Peschard persönlich zubereiteten Essen. Sein Tischnachbar redet auf ihn ein. Singer merkt, dass er nur noch Wortfetzen mitbekommt, ganze Sätze fehlen ihm. Er ist an diesem Abend nicht der einzige Porsche-Mann, der bei dieser Feier vor Erschöpfung einschläft.