Mit gerade 21 Jahren markiert Iga Swiatek schon beachtliche Serien in den Geschichtsbüchern des Tennis. Beim Turnier in Stuttgart will die Weltranglisten-Erste aus Polen wieder einmal unter Beweis stellen, warum sie für die Konkurrenz kaum zu fassen ist.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Mit erstaunlicher Professionalität – man könnte auch sagen: Abgezocktheit – sitzt sie da und pariert in sauberem Englisch die Fragen. Banale zu ihrem Fitnesszustand oder zum Bodenbelag beim Stuttgarter Turnier genauso wie tiefgründigere, etwa zur Entscheidung des Weltverbandes WTA, nach dem Fall Peng Shuai nach China zurückzukehren. Swiateks Antwort: „Ich vertraue darauf, dass die WTA die richtige Entscheidung getroffen hat.“ Warum? „Ich hoffe, dass wir als Spielerinnen sicher sein können, egal aus welchem Land wir kommen.“

 

Ihr Vorsprung in der Weltrangliste ist riesig

Schwer zu greifen ist die 21-jährige Weltranglisten-Erste aus Polen, die an diesem Donnerstag gegen Quinwen Zheng in das Turnier einsteigt. Das gilt auch für ihre Gegnerinnen auf dem Platz. Dort erschien ihnen im vergangenen Jahr das Ziel vor Augen häufig als Fata Morgana. Immer wenn sie dachten, sie hätten Swiatek am Wickel, entglitt ihnen doch noch die Partie. Swiatek (gesprochen: Swjontek) lässt sich durch nichts aus dem Konzept bringen. Nicht durch eigene Schwächephasen. Nicht durch eine Gegnerin, die alles trifft. Nicht durch Psychospielchen, nicht durch strittige Schiedsrichterentscheidungen. Durch nichts und niemanden.

Swiatek macht einfach ihr Ding. Und sich so zur derzeit besten Tennisspielerin der Welt. Sagenhafte 2084 Punkte trennt sie in der Weltrangliste von der zweit platzierten Aryna Sabalenka, gegen die sie im vergangenen Jahr den Porsche Grand Prix gewann und die in diesem Jahr auf Revanche sinnt. 2084 Punkte, das ist in etwa so, als führte der FC Bayern mit 15 Punkten Vorsprung die Bundesligatabelle an.

37 siegreiche Spiele in Folge – das gab es noch nie

Langeweile kehrt im Damen-Tennis deshalb aber nicht ein. Dafür ist die Weltspitze insgesamt zu ausgeglichen. Und was letztes Jahr Gültigkeit besaß, muss sich nicht zwangsläufig fortsetzen. Großteils speist sich Swiateks großer Vorsprung aus der Vorsaison, als sie alles abräumte. Unter anderem bei den French sowie den US Open. Zwischen Ende Februar und Ende Juni gewann die Warschauerin 37 Partien in Folge – das gab es in der Geschichte der Women’s Tennis Association (WTA) noch nie. Genauso wie es noch nie eine Spielerin gab, die beim Gewinn eines Turniers – wie im Februar in Doha – ganze fünf Spiele abgab. Spiele, nicht Sätze. Ihr Name: Klar, Iga Swiantek.

Sie ist mit gerade mal 21 Jahren die Rekordfrau im Damentennis. Wo aber, wie bereits erwähnt, die Halbwertszeit von Erfolgen zuletzt eher gering war. In den vergangenen Jahren gingen viele Stars und Sternchen auf und verglühten ebenso schnell wieder. Emma Raducanu beispielsweise, die US-Open-Siegerin von 2021. In Stuttgart schied die in der Weltrangliste nur noch auf Platz 68 notierte Britin in der ersten Runde sang- und klanglos aus.

In Stuttgart spielt Swiatek ihr erstes Turnier seit Mitte März

Swiatek will verhindern, dass sie über kurz oder lang dasselbe Schicksal ereilt. Fürs Erste möchte sie – ganz Profi – „von Turnier zu Turnier“ schauen. Die 21-Jährige kommt direkt von einer Rippenverletzung nach Stuttgart, seit Mitte März hat sie kein Turnier mehr gespielt. „Vielleicht bin ich ein bisschen eingerostet“, sagte sie. „Deswegen gehe ich nicht mit den ganz hohen Erwartungen in dieses Turnier.“ Zumal die Konkurrenz nicht von Pappe ist. 17 der besten 20 gingen beim Porsche-Turnier an den Start.

Wer Swiatek beim Training beobachtet, merkt aber kaum einen Unterschied zu jener Iga Swiatek, die 2022 ihre Konkurrenz beständig das Fürchten lehrte. Die Polin – in ihrer Heimat ist sie längst Volksheldin – ist keine klassische Hardhitterin wie viele ihrer Kolleginnen. Die hohe Topspin-Vorhand ist ihr großer Unterschiedsschlag. Eine Vorhand wie von Rafael Nadal, Swiateks großem Vorbild. Dem „Tennis Magazin“ erzählte sie dazu einmal die Vorgeschichte: „Als ich jung war, habe ich nicht allzu viel Tennis geschaut. Der einzige Spieler, der mich fasziniert hat, war Rafael Nadal. Meinen Spielstil habe ich mir wohl von ihm abgeschaut.“ Und stetig weiter entwickelt. Mangels gleichgeschlechtlicher Konkurrenz trainierte sie in ihrer Heimat viel mit Männern.

Eine Vorhand wie Rafael Nadal

Mit ihrem lockeren Handgelenk kann sie die Bälle unglaublich stark beschleunigen, ganz egal, wie sie zum Ball steht. Und fast jeder ihrer Schläge landet in der tödlichen Zone knapp vor der Grundlinie. Vereinfacht ließe sich sagen: Sie spielt eigentlich immer den richtigen Ball – und das noch ein bisschen besser als die anderen Top-Spielerinnen. Hinzu kommt: „Sie bewegt sie sich extrem gut. Man muss gegen sie jeden Ballwechsel zu Ende spielen. Sie schenkt keine einfachen Punkte her“, sagte Jule Niemeier dieser Tage in Stuttgart.

Die Deutsche Nummer eins weiß, wovon sie spricht. Im Achtelfinale der US Open wähnte sie sich nach einem klar gewonnenen ersten Satz bis Mitte des zweiten Satzes auf der Siegerstraße, ehe die Nummer eins zurückschlug und wieder einmal ihre Einzigartigkeit unter Beweis stellte. Man bekommt sie einfach nicht zu fassen.