Bürger können bei Lebensmittelklarheit.de irreführende Angaben zu Lebensmitteln melden. Die Industrie sieht sich an den Pranger gestellt.

Berlin - Bürger können Lebensmittel melden, deren Packungsangaben sie für irreführend halten. Gegen den Widerstand der Lebensmittelwirtschaft und der FDP hat Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) ein Internetportal vorgestellt, auf dem man Beschwerden über unverständliche oder irreführende Angaben auf Lebensmittelverpackungen einreichen kann. Es gehe um einen Dialog zwischen Herstellern und Verbrauchern, sagte Aigner. Das sei das Gegenteil eines Prangers, wie die Wirtschaft beklagt.

 

Der Ansturm war gewaltig. Kaum hatten Aigner und der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, die Internetseite vorgestellt, machten die Server schlapp. Offenbar findet das Portal also großes Interesse. Und aus Sicht von Aigner hat sie schon vor ihrem offiziellen Start Erfolge erzielt. In einem Probelauf hatten schon zuvor 200 Bürger Anfragen und Beschwerden vorgebracht. Das habe, wie die Ministerin betonte, dazu geführt, dass einzelne Hersteller ihre Produkte änderten.

Hersteller reagieren darauf

So hat zum Beispiel ein Kaffeehersteller einen als "klassisch" gekennzeichneten Kaffee verkauft, der nur zu 88 Prozent aus Kaffee bestand - der Rest waren Karamell und Maltodextrin. Darin sah ein Konsument aus Wiesbaden eine "beabsichtigte Verwirrung" und brachte sein Anliegen in dem Portal vor, das von der Verbraucherzentrale Hessen moderiert wird. Dann lief der Prozess ab, der für alle Eingaben auf lebensmittelklarheit.de gilt. Die Zentrale prüft, ob die Kritik begründet ist, bildet sich selbst ein Urteil darüber und gibt dem Hersteller Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Im Fall des Kaffees teilte die Zentrale die Auffassung des Käufers. Der Hersteller übrigens auch: er änderte die Rezeptur, das Produkt besteht nun wieder zu 100 Prozent aus Kaffee.

Ähnlich lief der Fall des Produkts ab, das laut Packung zu 100 Prozent aus Hähnchenbrust sein sollte, tatsächlich aber nur 76 Prozent Hähnchenbrustfleisch enthielt, während der Rest aus Wasser, Öl und Mehl bestand. Ende Juni teilte der Hersteller der Verbraucherzentrale Hessen mit, dass er diese Ware aus seinem Sortiment streiche. Aus Sicht von Gerd Billen, dem Chef der Verbraucherzentralen, spricht juristisch nichts dagegen, in dem Portal die Packungen genauso abzubilden, wie sie auch im Supermarktregal stehen oder in den Kühltruhen der Läden liegen: "Ich lade jeden ein, gegen uns zu klagen."

Man solle Waren nicht an den Pranger stellen

Dagegen erklärte der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie, Matthias Horst, dass produktbezogene Angaben nicht zu akzeptieren seien. Wenn Waren gemäß der gesetzlichen Bestimmungen hergestellt würden, gehe es nicht an, sie an einen Pranger zu stellen. Aigner rief die Firmen dazu auf, das Portal anzunehmen und sich seriös mit den Eingaben von Kunden zu befassen. Es wird vom Verbraucherschutzministerium über zwei Jahre hinweg mit 775.000 Euro unterstützt. Die Ministerin erklärte, dass sie keine Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit der Internetseite habe. Diese Frage sei von den zuständigen Ministerien der Regierung ausführlich geprüft worden.

Billen betont, das Portal arbeite sehr differenziert. Ein Joghurt, auf dessen Deckel Früchte abgebildet seien, obwohl er statt Früchten nur Aromen enthalte, könne als Täuschung der Verbraucher auf der Seite landen. Gleiches gelte für die Speiseölflasche, die den Eindruck von Sonnenblumenöl erwecke, tatsächlich aber die Herkunft des Öls nicht nenne. Wenn aber zum Beispiel ein Verbraucher beklage, dass Kalbswienerwürstchen nur zu 15 Prozent aus Kalbfleisch bestehe, werde diese konkrete Ware nicht unter Nennung des Herstellers veröffentlicht. Denn aufgrund lebensmittelrechtlicher Bestimmungen sei es zulässig, dass eine Kalbswiener nur so wenig Kalbfleisch enthalte. Das Portal greift solche Fälle zwar auf, indem dort steht, dass solche Waren ein Täuschungspotenzial haben. Dies findet aber herstellerneutral statt, weil die mögliche Täuschung des Verbrauchers nicht von einem bestimmten Produkt, sondern der zugrunde liegenden rechtlichen Regelung ausgeht.

Die Grünen und FDP sind skeptisch

Kritik an lebensmittelklarheit.de kommt von den Grünen und der FDP. So meint der FDP-Abgeordnete Hans-Michael Goldmann, das Portal transportiere nur die Ängste von Verbrauchern. Die Ministerin unternehme einen Alleingang. Die Grünen betonten, dass die Plattform kein Ersatz für gesetzliche Auflagen sein könne. Klare rechtliche Vorgaben müssten Täuschung oder Irreführung unterbinden.

Zum Start war das Portal überlastet und zeitweise nicht erreichbar.