Weil das Geschäft mit dem Vertrieb von Lotterielosen schwieriger geworden ist, hat sich die 1896 gegründete Glöckle-Gruppe auf neue Gebiete vorgewagt. So bietet das Stuttgarter Unternehmen nun auch Strom und Gas oder Telefontarife und -dienstleistungen an.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Was haben Lotterielose, Strom und Gas oder Telekommunikationsdienstleistungen gemeinsam? Mehr als man auf den ersten Blick denkt, findet Axel Glöckle. „Es handelt sich durchweg um virtuelle Produkte. Und sie haben alle mit Service zu tun“, sagt der hochgewachsene Mittdreißiger. Deshalb sei es nur logisch, dass all diese Angebote unter dem Dach der Stuttgarter Firmengruppe Glöckle Platz finden, meint der Unternehmer, der an der Spitze des Traditionsunternehmens steht und bereits die vierte Generation der Gründerfamilie repräsentiert. Ob es nun um den Verkauf von Losen, Kilowattstunden oder Telefon- und Internetdiensten gehe – letztlich seien dabei ganz ähnliche Aufgaben zu lösen, meint Glöckle. Erforderlich sei profundes Know-how in den Bereichen Vertrieb, Auftragsabwicklung, IT, Kundendienst und Kundenkommunikation. Und auf diesen Gebieten könne Glöckle jahrzehntelange Erfahrung vorweisen.

 

Angefangen hat alles 1896, als Josef Glöckle neben seinem Friseurladen in Bad Cannstatt begann, Lotterielose zu verkaufen. 1914 wird Glöckle „königlich württembergischer Lotterieunternehmer“, 1924 wird sein Sohn Erwin staatlicher Lotterieeinnehmer – ein Geschäft, dem die Glöckle-Gruppe bis heute treu geblieben ist. Als Lotterieeinnehmer veranstaltet Glöckle selbst keine Glückspiele, sondern vertreibt gegen Provision die Lose der Süddeutschen und der Norddeutschen Klassenlotterie.

Doch die Bedingungen für das Glücksspielgeschäft in Deutschland hätten sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert, sagt Glöckle. Als Beispiel nennt er die starke Einschränkung der Werbemöglichkeiten bis hin zum kompletten Verbot von Fernseh- und Internetwerbung. Ein besserer Schutz vor Spielsucht, mit dem das staatliche Glücksspielmonopol oft begründet wird, sei damit jedoch nicht verbunden. Im Gegenteil: der Umsatzanteil des staatlich regulierten Glückspiels, zu dem auch die Klassenlotterien gehören, sei zwischen 2005 und 2013 von 80 auf weniger als 30 Prozent gesunken.

Wachsende Konkurrenz durch Online-Glückspiele

Dafür gebe es immer mehr Online-Glückspielangebote aus dem Ausland, sagt der Unternehmer. Das Spannungsverhältnis zwischen den Vorgaben des deutschen Glückspielstaatsvertrags und der EU-weiten Dienstleistungsfreiheit bringe für die Branche weiter eine große Rechtsunsicherheit mit sich. „Die Rahmenbedingungen sind sehr instabil“, sagt Glöckle. Nicht zuletzt deshalb habe die Glöckle-Gruppe beschlossen, sich neu aufzustellen und in weitere Geschäftsfelder einzusteigen. Die Infrastruktur zur Betreuung großer Kundenzahlen war bereits vorhanden. „Zu Hochzeiten des Lotteriegeschäfts hatten wir etwa 600 000 Kunden“, erzählt Axel Glöckle.

Inwieweit bei der Umorientierung auch das nicht immer blütenweiße Image der Losvermittler eine Rolle gespielt hat, bleibt offen. Zu den Einträgen in diversen Internetforen, in denen teilweise auch die Vertriebspraktiken von Glöckle kritisiert wurden, sagt Axel Glöckle: „Als staatliche Lotterie-Einnahme handeln wir stets im Rahmen der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Bevor 2008 das Telefonmarketing durch den Glücksspielstaatsvertrag für die Branche komplett untersagt wurde, kam es leider auch zu Unzufriedenheit in Folge der Kontaktierung durch einzelne Call-Center oder deren Agenten. Wir haben diese Vorkommnisse sehr ernst genommen und uns in begründeten Fällen von den entsprechenden Partnern getrennt“. Im Übrigen verweist er auf das Tüv-Siegel für Servicequalität, mit dem die Gruppe seit 2010 mehrfach ausgezeichnet worden sei, und eine hohe Zufriedenheitsquote bei Kundenbefragungen.

Den größten Teil des Umsatzes macht Glöckle heute im Geschäft mit Strom und Gas, das bei der 2008 gegründeten Tochter E.Vita angesiedelt ist. Im vergangenen Jahr kam E.Vita nach eigenen Angaben auf einen Umsatz von 264 Millionen Euro. „Damit liegen wir etwa in der Größenordnung eines mittleren Stadtwerks“, sagt Geschäftsführer Stefan Harder. Die Erlöse der gesamten Firmengruppe im vergangenen Jahr beziffert Axel Glöckle mit „über 300 Millionen Euro“ . Die Wachstumsraten im Energiegeschäft können sich sehen lassen. So verbuchte E.Vita 2014 ein Umsatzplus von knapp 30 Prozent. Auch in den kommenden Jahren sieht Axel Glöckle bei Strom und Gas noch Wachstumschancen: „Das Potenzial ist hier noch lange nicht ausgeschöpft“.

Wichtigste Zielgruppe für E.Vita sind gewerbliche Kunden. Ziel sei es, günstiger als der örtliche Grundversorger zu sein, doch mit den Stromdiscountern könne und wolle man nicht mithalten. „Wir wollen uns vor allem beim Service von der Konkurrenz abheben“, sagt Axel Glöckle – etwa mit transparenten Rechnungen oder längerfristigen Preisgarantien. Zudem steige der Beratungsbedarf, weil immer mehr Kunden nicht nur Strom verbrauchen, sondern auch selber produzieren, sagt Harder. So muss sich ein Handwerksbetrieb mit eigener Fotovoltaikanlage überlegen, wie viel Strom er selbst verbraucht und wie viel er ins Netz einspeist. E.Vita berät Firmen auch bei der optimalen Steuerung ihres Strombedarfs im Tagesverlauf, um Lastspitzen zu glätten oder in verbrauchsärmere Zeiten zu verschieben. Das ermöglicht günstigere Tarife für Gewerbekunden. Der Bau eigener Kraftwerke sei dagegen nicht geplant.

Der Fokus liegt auf gewerblichen Kunden

Ermuntert vom Erfolg von E.Vita wurde 2013 die jüngste Glöckle-Tochter C.Vita gegründet, die Festnetz und Mobilfunktarife sowie diverse Telekommunikationsdienstleistungen anbietet. Auch hier liegt der Fokus auf gewerblichen Kunden. Genaue Geschäftszahlen nennt C.Vita nicht.

Mehr als die Hälfte der nach Unternehmensangaben über 300 Mitarbeiter der Glöckle-Gruppe sind bei der Servicegesellschaft Glöckle Direct beschäftigt, über die Marketing, Kommunikation und Auftragsabwicklung für alle Firmen der Gruppe laufen. Die Glöckle-Tochter GM Consult IT bietet auch Serviceleistungen für externe Kunden an – etwa in den Bereichen Dokumentenmanagement (elektronischer Schriftverkehr) oder Kundendialog. Mit dem Aufbau neuer Geschäftsfelder sei es der Glöckle-Gruppe gelungen, die Beschäftigtenzahl trotz der Rückgänge im Lotteriegeschäft zu halten, resümiert Axel Glöckle. Etliche Konkurrenten hätten aufgegeben oder massiv Personal abgebaut.

Wäre es nicht praktisch, die Kundendaten aller Glöckle-Firmen zusammenzuwerfen – und etwa allen Lotteriekunden einen Stromliefervertrag anzubieten? Diesen Vorschlag weist Axel Glöckle zurück. Man lege vielmehr Wert darauf, dass die Kundendaten der Sparten voneinander getrennt bleiben. „Im Geschäftskundenbereich hat Glückspiel nichts zu suchen“, findet der Unternehmer.