Porträt der Woche: Maria Eisenhut aus Plieningen arbeitet im Alter noch für das, was sie sich immer gewünscht hat.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Maria Eisenhut ist 80 Jahre alt und steht jeden Morgen um zwei Uhr auf. Nach einer Tasse Kaffee fährt sie nach Möhringen zum Pressehaus, um ihren Stapel Zeitungen abzuholen. Ihre zweite Station ist Birkach, wo sie für die nächsten drei, vier Stunden die Briefkästen klappern lässt. Seit mehr als vier Jahrzehnten trägt Maria Eisenhut Zeitungen aus. Sie macht das gern, „das sind meine Leut’, nicht nur meine Leser“, sagt sie und klingt, als würde sie über Freunde sprechen.

 

Allerdings lassen sich ihre Lebensjahre nicht verleugnen. „Ich habe keine Kraft mehr“, sagt Maria Eisenhut. Neulich ist sie auf ihrer Tour im Morgengrauen gestürzt. Seither schmerzt der Arm. Drei Wochen musste sie pausieren. Das waren drei Wochen, in denen kein Geld reinkam. Und das ist schlecht, denn Maria Eisenhut braucht jeden Cent, wie sie sagt. Denn die Rente der 80-jährigen Plieningerin ist nicht üppig – und sie arbeitet an ihrem Traum.

Im Album steckt ihr Traum

Um zu zeigen, wovon sie spricht, drückt sich Maria Eisenhut aus dem Sessel hoch und holt die kleinen Fotoalben vom Klavier. Sie zahle ein Häuschen auf der Schwäbischen Alb ab. Sie hat es von allen Seiten abgelichtet, damit sie es immer anschauen kann, wenn sie die Sehnsucht packt. Seit zehn Jahren ist sie an zwei Orten zu Hause.

In Plieningen lebt sie nur, weil sich hier besser Geld verdienen lasse als auf dem Land, sagt sie. Wenn es geht, fährt sie samstags auf die Alb und verbringt das Wochenende in ihrem Traumhaus. „Schon als Kind wollte ich ein Haus haben.“ Wer sich wundert, dass sich diese alte Frau derart abrackert, dem antwortet sie: „Ich habe einen Traum.“ Sie hält kurz inne und fügt dann hinzu: „ Ich mach das, bis ich auf den Knien daherkomme. Und das tu ich ja schon fast.“

In vier Jahren dürfte sie das Häuschen abbezahlt haben. Vier Jahre, „wer weiß, ob ich dann noch bin“, sagt Maria Eisenhut. „Ich bin schwer herzkrank.“ Im Wortsinn. Ihr Herz macht nicht mehr mit, weil es gebrochen worden ist, sagt sie. Sie hatte fünf Kinder. Zwei ihrer Söhne hat sie innerhalb von drei Monaten verloren. Der Älteste ist mit 34 an Krebs gestorben, der Zweitjüngste hat sich wegen einer unglücklichen Liebe das Leben genommen. „Das muss man mal aushalten“, sagt sie.

Maria Eisenhut hat gelernt, weiterzumachen

Nach dem Selbstmord ihres 23-jährigen Sohnes ist sie in seine Bleibe mitten in Plieningen gezogen. Dort lebt sie noch. Das Klingelschild hat sie einfach mit ihrem eigenen Namen überklebt. Die Zeit hat das Papier gelöst, der Anfangsbuchstabe des Vornamen des Jungen lugt hervor. In ihrer Stube stehen Dinge von ihm. „Die bleiben“, sagt sie. „Die sind heilig.“

Maria Eisenhut hat gelernt, weiterzumachen. Einfach weiterzumachen. Aber sie sagt, sie hat sich zurückgezogen. „Ich vertraue niemandem richtig“, sagt sie. Und dafür hat sie vermutlich gute Gründe. Sie erzählt, dass sie eine schwere Kindheit und Jugend hatte, wie sehr sie unter ihrem Stiefvater gelitten hatte, dass sie unglaublich viel ertragen und wegstecken musste.

Eines haben die dunklen Lebenskapitel trotzdem nicht vermocht: ihr den Humor und die Herzlichkeit in den Augen zu stehlen. Wenn Maria Eisenhut lacht, lacht das ganze Gesicht. Sie macht es sich so schön, wie sie kann. In ihren vier Wänden umgibt sie sich mit etlichen Sächelchen, lauter Erinnerungsstücke. „Und was ich nicht habe, male ich mir.“ Das ist ihr Stichwort, um wieder aufzustehen und zum Klavier zu laufen.

Sie malt sich die Welt schön

In einem weiteren Album stecken Fotos von dem, was sie mit Pinsel und Fantasie erschaffen hat. Sie hat Schränke, Truhen und Puppenbettchen beim Sperrmüll gefunden und romantisch bemalt mit Blumengirlanden. Ihrer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. So hat sie ihr Auto in ein Kunstwerk verwandelt. Die Burg Hohenzollern prangt unter dem Beifahrerfenster, vorn am Kühler zwei Rehe und Fliegenpilze, hinten am Heck eine blasse Schnecke.

Wenn sie malt, malt sie sich die Welt in Ordnung. Und wenn sie darauf keine Lust mehr hat, legt sie den Pinsel weg und dichtet vielleicht ein Lied. Das wird dann meistens eine Ode an die Heimat auf der Schwäbischen Alb. „Oh du mein Ehingen, oh du mein Donautal“, schallt es aus dem CD-Player. Der Text stammt von Maria Eisenhut, ihre Töchter singen ihn. „Wie herzlich danke ich unserem lieben Gott. Und zwingt mich das Schicksal einmal fort von dir, dann treibt mich das Heimweh donauwärts.“ Maria Eisenhut hat feuchte Augen. Das ist die Sehnsucht.