Warmbronner Verleger Ulrich Keicher Vom Büchersammler zum Büchermacher

Ein Verleger außerhalb der üblichen Tour: Ulrich Keicher in seinem Warmbronner Buch-Biotop. Foto: Gerd Schroff

Der Warmbronner Verleger Ulrich Keicher wird mit dem Kurt-Wolff-Preis geehrt, der bedeutendsten Auszeichnung für unabhängige Verlage. War seine Arbeit anfangs auf das Randständige ausgerichtet, ist es längst ein Adelsschlag, bei ihm zu erscheinen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Es ist schon eine Weile her, da zirkulierte über das Schriftstellerhaus in Stuttgart ein selbstironisch humorvoller Schüttelreim: Es sei ein Ort für nicht verlegte Dichter und nicht ganz dichte Verleger. Niemand weiß mehr genau, wer diesen Satz geprägt hat. Aber wenn man das „nicht ganz dicht“ mit Mut übersetzt, sich entgegen jeglichen ökonomischen Kalküls für das Unkonventionelle und Randständige einzusetzen, könnte man damit ganz gut das Lebenswerk Ulrich Keichers umschreiben.

 

In dem kleinen Ort Warmbronn auf halber Strecke zwischen Stuttgart und der Ewigkeit hat er vielleicht eines der verrücktesten und zugleich kostbarsten Verlagsunternehmen des Landes ins Leben gerufen. Seit 1983 entstehen in einem alten Fachwerkhaus Bücher, deren Schönheit und elementare Eigenart dazu geführt hat, dass dort längst nicht mehr nur die Nichtverlegten Obdach finden, sondern mittlerweile die bekanntesten Dichter unserer Tage anklopfen, um einen Text in dem legendären Verlagsprogramm unterzubringen.

Unternehmen heißt in diesem Fall, dass alle Bereiche, Lektorat, Produktion, Vertrieb auf die Person des mittlerweile 78-jährigen Gründers zulaufen. 373 Bücher hat Ulrich Keicher bisher auf den Weg gebracht, wofür er in diesem Jahr die wichtigste Auszeichnung für unabhängige Verlage, den mit 35 000 Euro dotierten Kurt-Wolff-Preis erhält: Seine sorgfältig gestalteten schmalen Bände würden Brücken zwischen Literatur und bildender Kunst schlagen, heißt es in der Begründung.

Fadenbindung der Sprache

Wie lässt sich das Glück, das schön gemachte Bücher spenden, umschreiben jenseits der abgegriffenen Betulichkeit von Haptik, Duft und so weiter? Vielleicht ist es wie bei dem Dialekt, wo der äußere Klang der Sprache dem Inhalt erst seine spezifische Prägung verleiht. Wenn man Ulrich Keicher an seiner Wirkungsstätte adäquaten Ausdruck verleihen möchte, kommt man um das wunderschöne feingliedrige Schwäbisch nicht herum – eine Art Fadenbindung der Sprache, die die Seiten dieses Verlegerlebens zusammenhält.

„Es ist eben doch schon bissle außer der üblichen Tour gelaufen, von Anfang an“, beginnt er zu erzählen. Zunächst hat er mit Literatur nicht viel zu tun gehabt. Er kommt aus einem Bauernhaus aus Leonberg, der Vater war ein Handwerker. „Bis zum 18. Lebensjahr habe ich Revolverheftle gelesen.“ Dann folgte die Initialzündung mit Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab“. Die ersten literarischen Bücher hat er 1963 gekauft, da war er 20 Jahre: Bölls „Irisches Tagebuch“ und „Billard um halb zehn“.

Nach der Buchhändlerlehre und einem Intermezzo an der Pädagogischen Hochschule war ihm klar, den Büchern fortan die Treue halten zu wollen. Zehn Jahre arbeitete er als Antiquar. Irgendwann, nach Stationen in Zürich, Freiburg verschob sich der Akzent vom Büchersammeln aufs Büchermachen. In Zusammenarbeit mit einer Leonberger Galeristin entstanden begleitende Bändchen zu Lesungen von Autoren wie Hermann Lenz, Werner Dürrson, Hannelies Taschau. Nebenbereiche haben ihn immer mehr interessiert als große Namen, wobei viele Nebenbereiche inzwischen zu Zentren geworden sind. Auch dass der Warmbronner Genius Loci, der 1835 geborene Christian Wagner, vom Odium eines dilettierenden Bauerndichters befreit und in den ihm gebührenden Rang eingesetzt wurde, ist mit ein Verdienst Ulrich Keichers.

Jedes Buch hat ein Schwänzle

Nach dem Versuch, eine eigene, edlere Taschenbuchreihe zu begründen, kam 1986 der rote Faden ins Spiel. Und auch wenn er inzwischen die Farbe gewechselt hat, zieht er sich bis heute durch Keichers verlegerisches Schaffen. Bis 1996 erschienen 44 der schwarzen Quarthefte, deren Markenzeichen ein rotes Titelschildchen und ebenjener rote Faden der Bindung waren. Mit Werner Dürrsons „Wie ich lese?“ begann die Reihe – glücklich, wer heute in irgendeinem Antiquariat noch ein Exemplar ergattern kann –, und sie endete mit Matthias Polityckis Erzählung „Der böse Einfluss der Bifi-Wurst“.

Der Verlag war damit etabliert als eine Adresse für das etwas andere Buch. Es hat etwa 36 Seiten – „mehr geht nicht, sonst sperrt es den Schnabel auf“, was bedeutet, dass es auseinanderklafft, auch wenn man es noch so presst. Und wenn man wissen will, wie es entsteht, muss man durch das Buchlabyrinth einen Stock nach oben steigen. Dort ist die Werkstatt. Überall liegen Schachteln mit gedruckten Bögen und Umschlägen. Jedes Buch ist Handarbeit. Anfangs wurde in einer Druckerei in Gerlingen gedruckt, dann ab 1996 mit dem eigenen Laserdrucker, seit fünf Jahren in einer Druckerei in Leonberg. „Tausende von solchen Dingern habe ich schon gemacht“: Zwei Vorsatzblätter, eines lose, das andere unter dem Umschlag. Dann wird mit einer Nadel der Faden durch die Bögen gezogen, und hinten zu einem „Schwänzle“ verknotet, manche Autoren wünschen sogar, das Schwänzle außen über dem Umschlag zu sehen.

Querschnitt durch die Literaturgeschichte

Das Programm des Verlags liest sich wie ein Querschnitt durch die Literaturgeschichte der Nachkriegszeit. Zumeist Lyrik, kürzere Prosa bis in die jüngste Generation. „Mit manchen Modernen habe ich jetzt bissle Probleme“, sagt Ulrich Keicher. Doch als er dem Lyriker Oswald Egger einmal gestanden habe, er verstehe ihn nicht, habe der geantwortet, er verstehe es doch auch nicht. Aber, so Keicher: „Ich lese lieber so ein Buch und verstehe die Hälfte nicht.“

Ein reicher Mensch und Bücherfreund aus Berlin hat vor einiger Zeit gefragt, ob man von so etwas leben könne, und ihm darauf 10 000 Euro überwiesen. „Ich habe nie viel gebraucht“, sagt der Verleger. Zurzeit lehnt er alle Aufträge ab, eigentlich wollte er bald aufhören. Dann kam der Preis. „Solange es geht, mache ich jetzt noch etwas weiter.“ Andernfalls würde dieses im Wortsinn singuläre Buchparadies wohl ein Fall für eine schöne Erinnerung. In einem Nebenzimmer stehen die berühmten grünen Kästen des Marbacher Literaturarchivs schon bereit.

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