Reise: Annette Schwesig (apf)

Dabei war ihr dieses Leben weder in die Wiege gelegt noch gab es jemals einen Plan. Ihre ersten Auslandsreisen sind ihr mehr oder weniger zugefallen, „nach Moskau bin ich aus Versehen gekommen“. Riedle hatte damals Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre politische Feuilletons für die „Zeit“ und den „Spiegel“ geschrieben und reiste wegen einer Recherche zum Thema Beutekunst nach Moskau. „Das war eine Wegkreuzung in meinem Leben. Ich bekam eine völlig neue Perspektive auf die Welt.“ Mit dem russischen Schriftsteller Viktor Jerofejew erlebte sie eine heftige Amour fou. Wochenlang reisten die beiden durch das Land und 1998 erschien das Buch „Fluss“, das sie gemeinsam geschrieben haben und das nicht zuletzt aufgrund seiner Obszönitäten einiges Aufsehen erregte.

 

„Bis dahin war es eher so, dass ich schon schlecht gelaunt war, wenn ich am anderen Morgen nach Italien reisen musste.“ Doch seit dieser ersten großen Auslandsreise war sie süchtig: nach dem Wegfahren und nach dem Heimkommen. „In Russland oder Afrika, dort ist die wirkliche Welt. Die funktioniert nicht so wie hier in Deutschland. Gerade Stuttgart hat nichts mit der Realität zu tun“, meint Gabriele Riedle.

Differenziertes Verhältnis zur Heimatstadt

Zu ihrer Heimatstadt hat sie ein – vorsichtig ausgedrückt – differenziertes Verhältnis. Davon handelt unter anderem Riedles neuer Roman „Überflüssige Menschen“, der im Frühjahr in der „Anderen Bibliothek“ erschienen ist. In dem Roman, der nicht zuletzt ein Zeugnis abgibt von der stilistischen Virtuosität einer Reporterin, die alles Reportagehafte zu Gunsten eines kunstfertigen hohen Tons ablegen kann, geht es um Heimat und Heimatlosigkeit, um Traditionen und Utopien, um Familie und Vorfahren, um Sprache und Dialekt. Vor allem aber geht es um die Generation derer, die dank der Bildungsoffensive der Sozialdemokraten in den siebziger Jahren einen beruflichen Werdegang einschlagen konnten, der noch ihren Eltern und Großeltern wegen ihrer Herkunft aus der Arbeiter- oder Kleinbürgerschicht nicht möglich gewesen war.

Riedle selbst kommt aus einer Familie, in der niemand länger als fünf Jahre eine Schule besucht hat. Das Königin-Katharina-Stift wurde der kleinen Gabriele nicht zur Heimat, zu stark war die Aufteilung der Kinder in privilegiert und nicht privilegiert spürbar. „Ich war zwar auf dem Gymnasium, aber hätte da eigentlich nicht sein dürfen“, erinnert sich Riedle. Dieses Gefühl, „ich gehöre nicht hierher“, hat sie ihre ganze Gymnasialzeit über nicht verlassen. „Wir durften zwar aufsteigen, waren aber verunsichert.“ Die Entfremdung von der arbeitenden Familie, der eigenen Geschichte sei der Preis für die Freiheit. Diese extreme Entwurzelung und Verlorenheit eines sehr typischen Teils ihrer Generation beschreibt sie in „Überflüssige Menschen“.

„Bis dahin war es eher so, dass ich schon schlecht gelaunt war, wenn ich am anderen Morgen nach Italien reisen musste.“ Doch seit dieser ersten großen Auslandsreise war sie süchtig: nach dem Wegfahren und nach dem Heimkommen. „In Russland oder Afrika, dort ist die wirkliche Welt. Die funktioniert nicht so wie hier in Deutschland. Gerade Stuttgart hat nichts mit der Realität zu tun“, meint Gabriele Riedle.

Differenziertes Verhältnis zur Heimatstadt

Zu ihrer Heimatstadt hat sie ein – vorsichtig ausgedrückt – differenziertes Verhältnis. Davon handelt unter anderem Riedles neuer Roman „Überflüssige Menschen“, der im Frühjahr in der „Anderen Bibliothek“ erschienen ist. In dem Roman, der nicht zuletzt ein Zeugnis abgibt von der stilistischen Virtuosität einer Reporterin, die alles Reportagehafte zu Gunsten eines kunstfertigen hohen Tons ablegen kann, geht es um Heimat und Heimatlosigkeit, um Traditionen und Utopien, um Familie und Vorfahren, um Sprache und Dialekt. Vor allem aber geht es um die Generation derer, die dank der Bildungsoffensive der Sozialdemokraten in den siebziger Jahren einen beruflichen Werdegang einschlagen konnten, der noch ihren Eltern und Großeltern wegen ihrer Herkunft aus der Arbeiter- oder Kleinbürgerschicht nicht möglich gewesen war.

Riedle selbst kommt aus einer Familie, in der niemand länger als fünf Jahre eine Schule besucht hat. Das Königin-Katharina-Stift wurde der kleinen Gabriele nicht zur Heimat, zu stark war die Aufteilung der Kinder in privilegiert und nicht privilegiert spürbar. „Ich war zwar auf dem Gymnasium, aber hätte da eigentlich nicht sein dürfen“, erinnert sich Riedle. Dieses Gefühl, „ich gehöre nicht hierher“, hat sie ihre ganze Gymnasialzeit über nicht verlassen. „Wir durften zwar aufsteigen, waren aber verunsichert.“ Die Entfremdung von der arbeitenden Familie, der eigenen Geschichte sei der Preis für die Freiheit. Diese extreme Entwurzelung und Verlorenheit eines sehr typischen Teils ihrer Generation beschreibt sie in „Überflüssige Menschen“.

Gabriele Riedle – Nach dem Abi von Stuttgart nach Berlin

Dennoch ist sie sehr dankbar, in jene Zeit hineingeboren worden zu sein: „Zehn Jahre früher oder später geboren, und ich würde heute an der Supermarktkasse sitzen.“ Doch in der Schule von den richtigen Lehrern mit den richtigen Büchern infiziert fürs ganze Leben, kehrt sie sofort nach dem Abitur Stuttgart den Rücken, geht nach Berlin und probiert dort nach eigener Schätzung nacheinander „zwanzig Wohngemeinschaften“ aus. Sie studiert Literaturwissenschaft und Sprachen, arbeitet als Tänzerin und Feuerspuckerin bei Peter Zadek am Schillertheater. Dann beginnt sie, erste Texte zu schreiben. Die Sprache wird ihr zur Heimat. Auch das ist nicht untypisch für die Kinder des Bildungsaufbruchs.

Heute hat Riedle einen Namen und eine Stelle beim Reportagemagazin „Geo“, die ihre alle Freiheiten lässt, die sie braucht. Zweimal im Jahr kommt sie nach Stuttgart, besucht ihre Schwester und freut sich am schwäbischen Dialekt. Heimat ist ein Thema für sie, gerade weil sie so viel unterwegs ist. „Heimat ist das, was man nicht erreichen kann, es ist wie die Liebe ein bloße Fiktion. Heimat ist immer schon vorbei“, sagt sie mit einer Spur Melancholie.

Ein Stuttgarter Kind

Gabriele Riedles Roman „Überflüssige Menschen“ ist in der Anderen Bibliothek erschienen (32 Euro). Ihre Titel „Fluss“ (gemeinsam mit Viktor Jerofejew, Aufbau Verlag) sowie „Versuch über das wüste Leben“ (Die Andere Bibliothek) sind antiquarisch erhältlich. Film
Im Dokumentarfilm „Peymanns Stuttgarter Kinder“ (2002), in dem es um die Wirkung des Theaters auf die Zuschauer geht, kommt auch Gabriele Riedle ausführlich zu Wort. Man bekommt dabei einen Eindruck von Stuttgart in der Ära Peymann und von der Sozialisation der Schülerin Gabriele.