"Partielle oder komplette Zusammenbrüche von Wirtschaftskreisläufen, Unterversorgung und humanitäre Notlagen würden mit hoher Wahrscheinlichkeit länderübergreifend zu schweren politischen Krisen führen." In der vorausgreifenden Gewissheit, dass dieses Szenario näher rückt, rät Tom Aigner zur Eile. "Wir müssen schneller auf regenerative Energien umstellen!" Man kann sich das vorstellen wie bei einer russischen Schachtelpuppe. Wird eine geöffnet, kommt die nächste zum Vorschein, nur ist die kleiner.

Die Welt erwartet Nachschub


So ähnlich sind die globalen Zusammenhänge beim Öl. Die leicht zu erschließenden Ölfelder schalten langsam auf Reserve um. Für immer kleinere Vorkommen wird immer tiefer gebohrt. Bei der Explosion der Öl-Plattform Deepwater Horizon hat die Welt erst vor wenigen Monaten den Atem angehalten, mehr als 800 Millionen Liter schwarze Brühe strömte jeden Tag in den Golf von Mexiko, bevor es dem Ölkonzern BP unter größten Mühen gelang, das außer Kontrolle geratene Bohrloch in 1500 Meter Wassertiefe zu schließen. "Wäre dieses Ölfeld unfallfrei ausgebeutet worden", sagt Tom Aigner, "hätte die geförderte Menge nicht einmal gereicht, um den Verbrauch der Menschheit an einem einzigen Tag zu decken."

Die Welt erwartet Nachschub, damit das Wirtschaftswachstum nicht gebremst wird. Der unstillbare Hunger nach Energie führt zu gewagten Eingriffen mit erheblichen Risiken. Internationale Konzerne sind seit langen bereits an den Atlantikküsten Brasiliens unterwegs, in Westafrika und in der Arktis. Regierungen sichern sich Quellen und Bohrrechte. Neue Machtstrukturen bilden sich heraus. Das bleibt auf Dauer nicht ohne Auswirkungen für Exportnationen wie Deutschland.

"In der Zukunft werden Forderungen nach dem Schutz der Menschenrechte, nach guter Regierungsführung oder demokratischer Entwicklung verstärkt dem Primat der Energiesicherung geopfert und in den Beziehungen zwischen ölimportabhängigen Staaten und Förderländern kaum mehr eine Rolle spielen", heißt es in der Studie der Bundeswehr. Noch bestehe kein Anlass zu Panik, meint der Professor. Aber die Zeit drängt. Die größten Öllieferanten Deutschlands sind Russland, Norwegen und Großbritannien. 60 Prozent der deutschen Öllieferungen kommen folglich aus Ländern, die ihre nationalen Peaks schon hinter sich haben. Das Problem liegt weniger darin, dass es auf der Welt kein Öl mehr gibt, sondern dass es vielleicht bald kein billiges Öl mehr gibt.

An diesem Ort wohnt die Erdgeschichte


"Wir sollten handeln", sagt Tom Aigner. Dieser Satz klingt bei ihm nicht wie eine Überlegung, eher wie eine Feststellung. Der Professor braucht Tapetenwechsel. Es zieht ihn hinaus aus seinem kleinen Büro, hinunter in den künstlich beleuchteten Keller. Dort lagert seine einzigartige Bohrkernsammlung. Gesteine, Millionen Jahre alt. Muschelkalk, Tonschiefer und Sandstein. Würde man die Bruchstücke aneinanderreihen, hätten sie eine Länge von mehr als sechs Kilometern. An diesem Ort wohnt die Erdgeschichte, und Tom Aigner wohnt mit. Er würde gerne länger bleiben, muss aber weiter. In den nächsten Tagen bricht er mit sieben Studenten, Diplomanden und Doktoranden in das Sultanat Oman auf. Sie forschen im Auftrag von Shell, seinem früheren Arbeitgeber.

Es geht um das größte Erdgasfeld der Welt in Katar. Von dem Riesenschwamm unter der Erde weiß man nicht allzu viel. In den Omanbergen sind die gleichen Gesteinsformationen zu finden wie in Katar, nur sind sie dort begehbar. "Wir nehmen die Schichten dort im Schweiße unseres Angesichts systematisch auf und bauen daraus ein Computermodell für das Gasfeld.", erzählt der Erdölgeologe. Auf diese Weise kann das Vorkommen besser erschlossen werden.

Eines Tages wird auch dort alles ausgebeutet sein. Dass die Politik derzeit auf Weiter-so-Prognosen setzt und fast nur auf Wachstum fixiert ist, sieht der Professor kritisch. "Manchmal kommt es mir vor, als säßen wir Menschen in einem Auto vor einer undurchsichtigen Windschutzscheibe", sagt Tom Aigner, "und bei voller Fahrt voraus schauen wir nur in den Rückspiegel." Die Türe im Keller fällt ins Schloss. Die alten Steine ruhen sanft. Er wird neue mitbringen.