Weil die Ölreserven schwinden, bohren Konzerne immer tiefer. Tom Aigner, einst Ölsucher, heute Professor in Tübingen, warnt vor den Risiken.

Tübingen - Seine Stimme klingt vertraulich, als offenbare sie ein Geheimnis. Tom Aigner spricht über die Zukunft. Er glaubt, dass sie ungemütlich werden könnte für die post-fossile Gesellschaft. Mehr als hundert Jahre hat Erdöl das Räderwerk der Industriegesellschaft angetrieben. Doch die Reserven schwinden. "Wir können nicht so weitermachen wie bisher", sagt der Tübinger Geowissenschaftler. "Wir brauchen eine ökologische Revolution."

Ein grauer Nachmittag in der Studentenstadt. Tom Aigner sitzt in einem winzigen Büro im dritten Stock des Instituts für Geologie. Neben einem alten Waschbecken hängt eine Landkarte: "Kingdom of Saudi Arabia". In den Regalen drängen sich Hunderte von Büchern, an der Wand stapeln sich Kartons. Dazwischen liegen geologische Fundstücke aus der näheren Umgebung. "Baden-Württemberg ist ein steinreiches Land", sagt der Professor und grinst. 53 Jahre alt ist Tom Aigner und fast fünfzig davon blättert er schon im Buch der Erdgeschichte. Das lässt sich nicht erklären. Manche werfen mit Steinen, er sammelt sie.

Mit vier entdeckt Tom im Jagsttal seine ersten Fossilien. Er packt sie in Kisten und schleppt sie ins Kinderzimmer. Die Verwandtschaft kann es nicht fassen. Sie tauft den Halbwüchsigen "Professor Stein". Andere träumen von hübschen Mädchen, Tom Aigner träumt von der Sphinx in Gizeh. Auf seinem Nachttisch liegen Bücher über Archäologie. Sie handeln von Göttern, Gräbern und Gelehrten. Mit 16 liefert er seine erste Veröffentlichung ab: "Frühere Bergbauversuche im Stubensandstein des Schwäbischen Waldes". Es treibt ihn um, wie der Mensch den Planeten plündert. Mit 20 macht Aigner sein Vordiplom, mit 23 promoviert er in Geologie mit summa cum laude.

400 Mark und reichlich Idealismus


Als junger Wissenschaftler studiert er Sturmflutablagerungen, schippert durch die Nordsee und taucht in Florida ab. Im Heutigen entdeckt Tom Aigner mehr und mehr den Schlüssel zum Verständnis von Gestern. Mit 400 Mark und reichlich Idealismus erfüllt er sich seinen Kindheitstraum, fliegt nach Ägypten, nächtigt auf der Cheops-Pyramide und forscht in Gizeh für seine Diplomarbeit. Der örtlichen Polizei ist der Forscher suspekt. Mehrfach wird der Deutsche bei seinen Streifzügen verhaftet. Man hält ihn für einen Grabräuber. Mitte der achtziger Jahre heuert Tom Aigner dort an, wo Geologen viel Geld verdienen können. Er wird Ölsucher, arbeitet in den hochmodernen Forschungslabors der Shell-Gruppe in Rijswijk, Holland, und Houston, Texas.

Der Schwabe entwickelt Computerprogramme, modelliert die Erdgeschichte im Zeitraffer. Er reist nach Australien, Südamerika, in den Mittleren Osten. Überall sammelt er Daten entlang von Bohrungen und speist damit seinen Rechner. "Hinter der Hacke ist es dunkel", heißt es im Bergbau. Tom Aigner bringt Licht in die Tiefe. Mit Hilfe seines Computers versucht er zu ergründen, wie es unter Tage aussieht. Eine heikle Mission. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Marmorkuchen, in den man mit einer langen Nadel sticht. Zieht man sie heraus, lässt sich die Marmorierung verfolgen. Ein paar Zentimeter daneben kann sie schon wieder anders sein. "Es bleibt immer eine Unsicherheit", sagt der Ölsucher.

Sein Job ist es, diese Unsicherheit einzugrenzen. Für die Konzerne lohnt sich das. In manchen Gebieten kostet eine einzige Bohrung 50 Millionen Euro. Nach sechs Jahren hat er genug vom Leben aus dem Koffer. Tom Aigner, der bei Shell ist und bei Greenpeace, wechselt 1991 als Professor für Sedimentgeologie an die Universität Tübingen. Akademische Freiheit ist ihm wichtiger als ein dickes Bankkonto. "Ich wollte junge Menschen für die Natur begeistern und sie sensibilisieren für die Bewahrung der Schöpfung."

Wissenschaftler und Mahner


Auch am neuen Arbeitsplatz bleibt er dem Fluidum treu, ohne das auf dieser Welt nichts mehr geht. Mehr als neunzig Prozent der industriell gefertigten Produkte hängen von der Verfügbarkeit von Erdöl ab. Es steckt in Medikamenten, Farben, Textilien, Kunststoffen, Möbeln. Das meiste Öl wird für Mobilität verbraucht. Auf den Straßen droht Stillstand ohne Sprit von der Zapfsäule. Der Tübinger wird zu einem gefragten Wissenschaftler - und zum Mahner. Mehr als hundert Veröffentlichungen stammen aus seiner Feder. Immer wieder beschäftigt er sich mit dem Ende des schwarzen Golds. "Peak Oil kommt näher", sagt er und doziert über den Moment, an dem die maximale Fördermenge erreicht ist.

In der zweiten Halbzeit des Ölzeitalters geht es dann bergab. Manche Experten glauben, dass die Kurve noch dreißig Jahre nach oben zeigt. Tom Aigner hält es eher mit den Prognosen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Nach ihren Berechnungen wird das Fördermaximum schon in den nächsten zehn Jahren erreicht. "Das Versiegen der Quellen könnte auch für uns in Deutschland weitreichende Folgen haben", sagt der Professor und zitiert aus einer aktuellen Bundeswehrstudie. "Es spricht einiges dafür, dass der Peak Oil zu einer zunehmenden Fragilität von Staaten und humanitären Krisen führen wird", heißt es in dem Papier.