Reportage: Robin Szuttor (szu)


Der mondäne Augsburger Kursaal, ein einzigartiger Glas- und Gusseisenbau aus der Belle Époque, wird raffiniert ausgeleuchtet. Techniker wuseln umher, ein ganzer Übertragungsfuhrpark steht im Hof. Eine Visagistin kümmert sich um die ausgewählten Gäste. Die Regie beruhigt: "Seien Sie entspannt, es ist ja nicht live." Die Experten sind bereit. Der Filzbelag des Präsentationstisches wird noch mal gestriegelt. Kamera läuft.

Sein Vater hat ihn in den Betrieb gedrängt


Nagel spricht: "Grüß Gott. Ah. Sie bringen ein schönes, großes Tier. Meissen. 1903. Sehen Sie, die durchgeschliffenen Schwerter, das sind die Kennzeichen für zweite Wahl. Man erkennt, dass der Hinterlauf des Eisbären etwas gelbfleckig ist. Andere Manufakturen hätten das ohne weiteres durchgehen lassen. Meissen nicht. Der Preis dürfte bei etwa 2000 Euro liegen. Tragen Sie ihn vorsichtig zurück, ihren kalten Freund."

Eigentlich habe ihn der Vater in den Betrieb gedrängt, sagt Gert Nagel. Er wäre gern Innenarchitekt geworden, als Kompromiss lernte er Restaurator. Er ist ein bodenständiger Typ – aus einem Haus, wo Kindermädchen eine Selbstverständlichkeit waren. Seine Art, sein Äußeres haben was Gemütliches. Doch früher war er erfolgreicher Reiter und Rallyepilot eines BMW 2000 ti ("Immer Ärger mit den Zylinderkopfdichtungen"), fuhr auch gern Ferrari Dino oder Alfa Montreal, bevor er die Flitzer gegen einen bequemen Mercedes eintauschte.

Als Sammler wallt in ihm die Leidenschaft, als Händler und Auktionator musste er kühler Analyst sein. Nagel, der nächste Woche 75 wird, schenkt sich jährlich ein Dixieland-Jubilee mit tausend Gästen zum Geburtstag. Aber genauso liebt er die Abgeschiedenheit in seinem Allgäuer Bauernhaus. Auf den Grund des dazugehörigen Weihers hat er sich einen Betonbunker gebaut. Dort sitzt er unter Wasser hinter Panzerglasfenstern und guckt den Karpfen und Schleien zu. "Im März beginnen dann die Laubfrösche ihr Liebesspiel."

Jeder Gegenstand wäre eine Entdeckung


Meistens holt ihn seine Frau zurück nach oben: "Kommsch jetzt mol widder aus deim dunkla Loch raus?" Seine Wohnung in Stuttgarter Halbhöhenlage ist lichtdurchflutet und bietet einen Panoramablick auf die Stadt. Sie könnte auch als Museum durchgehen. Jeder Einrichtungsgegenstand wäre bei "Kunst & Krempel" wohl eine echte Entdeckung. An der Wand: mit feinem Strich gemalte Bilder hinter opulenten Goldrahmen. Nagel mag Künstler wie Karl Weysser (1833-1904), "er galt als der Spitzweg der Pfalz". Als Auktionator erlöste Nagel früher mal für einen Spitzweg über eine Million Mark.

Das Gemälde von Reinhard Zimmermann (1815-93) hat er selbst restauriert: "Papier auf Pappkarton, das hatte schon Wellen geschlagen. Mit Spucke rubbelte ich den Karton ab, schaffte mich quasi von hinten an das Werk ran."

Die Vitrine: Nagel nimmt eine Ludwigsburger Potpourri-Vase von 1760. Ganze Blumen passen nicht hinein. "Die wurde mit Rosenblättern gefüllt, weil das damalige Raumklima nicht das beste war." Eine Elfenbeinfigur von 1680: Lupft man den Rock der buckligen Alten, kommt eine Filzlaus zum Vorschein. "Da hatten die Leute damals ihren Heidenspaß." Gert Nagel heute auch: sein Sekretär mit Elfenbeinintarsien gehörte einst dem Münzdirektor Friedrichs des Großen.

Mehr als 2000 Gegenstände in der Sammlung


Nur der runde Tisch mit der runden Sitzgruppe drumherum ist sehr spätes 20.Jahrhundert. Auf Knopfdruck dreht sich das Ganze unmerklich. Ein Gag für Gäste. "Die sagen manchmal: ,Gert, I glaub i bin b’soffa, vorhin han i no auf Stuttgart guckt, und jetzt auf dei Tellersammlung."

"Grüß Gott, Sie bringen uns einen hübschen Dessertteller. Das ist auch Meissen. Um 1830. Ein besonderes Stück. Das Blümchenrelief, alles von Hand herausgeschliffen – eine Wahnsinnsarbeit. Die Ornamentbänder sind aus massivem Gold. Die Bordüren ebenso. Und dann noch eine Steigerung innen mit der hochpräzisen Miniaturmalerei nach einem niederländischen Kupferstich. Wirklich hervorragend und begeisternd. Zum Wert: etwa 3000 Euro."