Der Musiker Tim Bendzko stürmte mit "Nur noch kurz die Welt retten" über Nacht die Charts - doch so überraschend kam dieser Aufstieg eigentlich nicht.

Offenbach - Die Geschichte beginnt Anfang Juni 2011 und muss sich in etwa so abgespielt haben: bei Tim Bendzko klingelt das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: ein sehr aufgeregter Mitarbeiter seiner Plattenfirma. "Tim", ruft er in den Hörer, "Tim, das wirst du nicht glauben. Top 5. Deine Single ist in den Top 5." "Schön", sagt Bendzko, "läuft doch." Im September dann das gleiche Spiel. Wieder ruft der Mann an, wieder ist er außer sich vor Freude. "Tim. Platz 5 für dein Album ,Wenn Worte meine Sprache wären'." Bendzko grinst. "Nicht schlecht. Glückwunsch!"

 

"Ich weiß, diese Story klingt irgendwie komisch", resümiert Tim Bendzko, während er im spärlich eingerichteten Backstageraum einer Offenbacher Konzerthalle auf den Start seines ersten großen Auftritts des neuen Jahres wartet, "aber so überrascht hat mich das gar nicht. In meinem Umfeld war ich nämlich derjenige, der genau das schon immer vorhergesagt hat. Ich wusste einfach, dass ich mal so erfolgreich sein werde." Es sind Sätze, die man nicht erwartet hätte. Großspurige und überheblich Ansagen passen nicht ins Bild des kindlich wirkenden Sängers, der seit seinem Hit "Nur noch kurz die Welt retten" zum Traum der schlaflosen Nächte vieler Schülerinnen und zum Kandidaten Nummer eins auf der Schwiegersohn-Wunschliste Tausender Mittvierzigerinnen wurde.

Steckt hinter der etwas schüchternen, unbedarften Fassade des inoffiziellen Doppelgängers von Matthias Schweighöfer in Wirklichkeit ein abgebrühter Egotyp, der so sehr von sich überzeugt ist, dass selbst die Verleihung des Bambis 2011 für ihn "ziemlich unspektakulär" war? Nein. Tim Bendzko hat einfach recht. Bei genauerem Hinsehen lässt die Biografie des 26-jährigen Sängers nämlich gar keine anderen Schlüsse zu, als den, dass die Explosion einfach kommen musste, irgendwann.

"Man hat im Musikgeschäft nicht nur Freunde"

Aufgewachsen im Berliner Stadtteil Köpenick, gibt es für Tim Bendzko während seiner gesamten Jugendzeit zunächst nur ein Thema: Fußball. Der Besuch eines Sportgymnasiums ist obligatorisch, das Engagement beim 1. FC Union Berlin soll den Weg zu einer Karriere als Profifußballer ebnen. Beinahe jede freie Minute verbringt er auf dem Bolzplatz, Freunde und Verwandte sehen ihn schon im Trikot der Nationalmannschaft. Doch dann kommt eine Gitarre ins Spiel, und das Leben von Tim Bendzko nimmt eine entscheidende Wende. Er gründet eine Band, schreibt Songs, holt sich Anregungen von Kollegen - was man eben so macht als Musiker.

Tim Bendzko lacht oft, wenn er sich an diese Zeit erinnert. Seine hellblauen Augen werden dann ganz schmal, sein Mund formt sich zu einem breiten Grinsen, wie bei kleinen Jungen, denen gerade ein Streich geglückt ist. Wahrscheinlich wundert er sich selbst ein bisschen darüber, wie einfach alles lief. Bei einem Konzert im Jahr 2009 wird Bendzko, der zwischendurch Theologie studierte und als Gebrauchtwagenhändler jobbte, schließlich von der Plattenfirma Sony entdeckt. Zwei Jahre später erscheint die Debütsingle "Nur noch kurz die Welt retten" und wird zu einem der meistgespielten Radiosongs des Sommers. Das Lied verkauft sich aus dem Stand mehr als 300.000 Mal. Plötzlich wird er auf der Straße von Wildfremden angesprochen, Leserreporter-Fotos von ihm landen auf den Schreibtischen der Boulevardzeitungsredakteure. "Das ist schon absurd", sagt Bendzko, "ich bin ja nur ein Newcomer und muss erst mal unter Beweis stellen, dass das bei mir langfristig funktioniert."

Er weiß: Everybody's Darling zu sein reicht nicht aus, um dauerhaften Erfolg zu haben. "Ich muss jetzt dranbleiben, ein ernsthafter Künstler muss nicht nur gut singen können, sondern das Gesamtpaket sollte stimmen. Man muss sich selbst tragen können und Durchsetzungsvermögen haben." Das Grinsen aus seinem Gesicht ist nun weg, die Stirn liegt in Falten. Man hat im Musikgeschäft nicht nur Freunde, sagt er, es gäbe im Internet viele negative Kommentare zu seinen Songs. Doch solange das Positive überwiege, mache er sich keine Sorgen. Die Falten verschwinden allmählich wieder.

Ernsthaftigkeit, Talent, Durchsetzungsvermögen - wenn diese Eigenschaften tatsächlich zu dauerhaftem Erfolg führen, dann ist Tim Bendzko auf einem guten Weg. Kürzlich sei ihm in puncto Durchsetzungsvermögen ein ganz persönlicher Triumph gelungen: "Ich habe es nach langer Zeit endlich geschafft, mein Geburtsdatum bei Wikipedia einzustellen, ohne dass es direkt danach wieder verändert wurde. Es war ein langer Kampf, aber ich habe ihn gewonnen." Er lacht - und man möchte ihm wünschen, dass der korrekte Eintrag in dem Interneportal nicht das Einzige von ihm ist, was auf Dauer Bestand hat.

Eine neue deutsche Welle

Konzerte Tim Bendzko spielt am 13. Februar im LKA Stuttgart-Wangen, der Auftritt ist bereits ausverkauft. Für das Konzerte am 19. Juli auf der Freilichtbühne Killesberg sind aber problemlos noch Karten zu erhalten.

Charts Tim Bendzkos Debütalbum "Wenn Worte meine Sprache wären" hielt sich nicht nur viele Wochen in den Top 10 der deutschen Album-Hitliste, es landete immerhin auch auf Platz 15 der deutschen Jahrescharts 2011. Ein beachtliches Ergebnis, das beweist: Musik aus Deutschland ist kein Auslaufmodell. Elf der 15 meistverkauften Alben des Jahres 2011 stammen von deutschen Künstlern – deutlich mehr als in den vergangenen Jahren.

Künstler Auch abseits der großen Zahlen konnten deutschsprachige Künstler in den vergangenen Monaten Erfolge feiern. Der Hamburger Indierocker Thees Uhlmann, Frontmann der Band Tomte, feierte mit seinem ersten Soloalbum ebenso große Erfolge wie der mittlerweile in Berlin lebende Rapper Casper. Eine bis dato unbekannte Band aus der Eifel namens Jupiter Jones berührte mit "Still" eine ganze Nation, und Künstler wie Andreas Bourani oder Clueso sorgten für manch einen Anruf bei deutschen Radiosendern und die Nachfrage, ob es denn seit Neuestem eine Deutschquote gäbe. Die gibt es freilich nicht, aber von der Neuen Deutschen Welle wurden schließlich fast alle mitgerissen – auch die großen Musiklabels. Eine Investition in deutschsprachige Musik galt nämlich bis vor Kurzem noch als eher risikoreich. Das hat sich mittlerweile wohl geändert.