Als „zweite Marlene Dietrich“ und „neuer deutscher Weltstar“ ist Ute Lemper einstgefeiert worden. Das ist lange her. Heute lebt sie in New York, und Deutschland liegt ihr sehr fern. Bei ihrem letzten Besuch ist Simone Höhn ihr begegnet.

Stuttgart - Einem Menschen wie Ute Lemper kann man fast nicht ohne Vorbehalte begegnen. Was ist das für eine Frau? Eine Diva? Eine interessierte Interviewpartnerin? Eine schwierige Persönlichkeit? Eine charmante Künstlerin? Es ist schon so viel über sie geschrieben worden, es gibt bereits so viele Bewertungen und Urteile über sie, dass man ihr gegenüber gar nicht unbefangen sein kann.

 

Und dann die Erleichterung. Ute Lemper ist die Freundlichkeit in Person, eine nette und natürliche Frau, die Leichtigkeit versprüht und sofort verbindlich wirkt. Man schämt sich fast schon für die Ressentiments, die man gleich in den ersten Minuten des Kennenlernens über Bord wirft.

Im schwarzen Miniwollkleid sitzt die 48-Jährige auf der Terrasse eines Hotels in Stuttgart und blinzelt in die Sonne. Im Nu ist sie mittendrin im Gespräch, die Kunst des Smalltalks beherrscht sie perfekt – 15 Jahre New York hinterlassen eben auch Spuren im kommunikativen Verhalten. „Meine Güte, 27 Jahre soll das her sein, dass ich hier in Stuttgart gelebt habe?! Das kann doch nicht sein“, so drückt sie ihre Entrüstung über das Vergehen der Zeit aus. Man hört ihrem Zungenschlag die vielen Jahre in New York an.

In Stuttgart kehren manche Erinnerungen zurück

Später am Tag will sie noch einen Spaziergang an der Oper entlang machen, aus nostalgischen Gründen. Von ihrer Zeit in Stuttgart ist manches geblieben, manches nicht: „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mein Ein-Zimmer-Apartment aussah, in dem ich damals gewohnt habe, ich weiß aber nicht mehr, wo das war.“

Ute Lempers Theaterkarriere nimmt hier ihren Anfang. Nachdem sie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien ihre Schauspielausbildung beendet und in den Rollen der Katzen Bombalurina und Grizabella im Musical „Cats“ ebenfalls in Wien erfolgreich debütiert hat, holt sie 1985 der Intendant Ivan Nagel ans Staatstheater Stuttgart. Im Fassbinder-Stück „Katzelmacher“ sowie in Jérôme Savarys „Bye bye Showbiz“ sammelt sie erste Schauspielerfahrung.

„Wer ist heute Intendant am Staatstheater?“, will Ute Lemper wissen. „Und – hat Hasko Weber ein paar progressive Stücke auf die Bühne gebracht und das schwäbische Gemüt ein bisschen aufgeregt?“, fragt sie weiter. Und schon ist man mittendrin in Lempers Lebensthematik. Progress, Fortschritt, Freiheit des Geistes, Abkehr vom provinziellen Denken, von der Enge der Normalität – das sind die Wertvorstellungen, für die die Mutter von vier Kindern Zeit ihres Lebens gelebt hat. Wie ein roter Faden zieht sich die Flucht vor allzu bürgerlichen Maßstäben durch ihr Leben.

Das ewige „Was sollen die Leute von dir denken?“

Alles beginnt in Münster. Dort wächst sie streng katholisch und in gut bürgerlichen Verhältnissen auf. Sätze wie „Das ist doch nicht normal“ oder „Pass auf, was sollen die Leute von dir denken!“ prägen ihren Alltag. Ute Lemper rebelliert und bricht schließlich aus der Enge der vermeintlich heilen Welt aus. Sie macht eine Bilderbuchkarriere als Sängerin, Musicaldarstellerin und Schauspielerin und lebt abwechselnd in Wien, Stuttgart, Berlin, Paris und London.

Schließlich landet sie mit ihrem zweiten Ehemann Todd Turkisher, dem Vater ihrer beiden jüngsten Söhne Julian (sechs)und Jonas (ein Jahr), in New York, wo sie seit 15 Jahren nicht mehr weggezogen ist. Zum Familienclan gehören außerdem noch die beiden älteren Kinder aus erster Ehe, Max (18) und Stella (16).

Auch wenn sie heute zu Besuch bei ihren Eltern ist, glaubt Ute Lemper den Stillstand zu spüren, die Enge, die sie in jungen Jahren in die große, weite Welt getrieben hat. „In Münster ist alles gleich geblieben. Es ist wie ein alter Film, in den man wieder einsteigt“, sagt sie. Man merkt, wie sie sich bemüht, dabei nicht abfällig zu klingen.

Mit Jérôme Savary nach Lyon und Paris

In den achtziger Jahren macht Ute Lemper sich zunächst als Musicalstar einen Namen: Am Theater des Westens in Berlin übernimmt sie die Hauptrolle in „Peter Pan“ und tritt zusammen mit Nicole Heesters und Ingrid Caven in einer Kurt-Weill-Revue auf. Nach „Bye bye Showbiz“ in Stuttgart nimmt Jérôme Savary sie mit nach Lyon, wo sie innerhalb weniger Wochen „Cabaret“ einstudiert. In der Rolle der Sally Bowles feiert sie im Düsseldorfer Schauspielhaus und bis Anfang 1988 im Pariser „Mogador“ große Erfolge.

Als „zweite Marlene Dietrich“ und neuer „deutscher Weltstar“ wird sie hochgelobt, sowohl in Deutschland als auch international. In der Heimat allerdings folgt – im krassen Gegensatz zu ihrem weltweiten Erfolg – ein Karriereknick. Als sie 1992 im Berliner Theater des Westens die Rolle der Lola im von Peter Zadek und Jérôme Savary herausgebrachten Remake des „Blauen Engels“ übernimmt, wird sie von der Kritik heftig verrissen. „Drittklassige Tingeltangel-Schnurre“ ist nur eine der verletzenden Bezeichnungen, mit der man sie bedenkt.

Deutschland, Land der Schubladen

Und da waren sie wieder: die kategorischen Schubladen, die Aburteilungen, die „german“ Engstirnigkeit. „Mich hat die bösartige Kritik zum Glück nie richtig erreicht“, sagt Ute Lemper. „Ich hatte ja auch immer das zweite Standbein im Ausland, wo man mich nicht so harsch behandelt hat.“ Immerhin steht sie damit in einer Reihe mit von der deutschen Kritik viel geschmähten Künstlerinnen. In einem Atemzug mit Romy Schneider und Marlene Dietrich genannt zu werden ist sicher kein Armutszeugnis.

Nach Deutschland zurückgesehnt hat sich Ute Lemper nie: „Mir ist hier alles schon sehr vertraut, aber wirklich heimisch fühle ich mich nicht. Dafür liebe ich New York einfach zu sehr. Das Leben ist so schön dort“, schwärmt sie. Alles sei so „relaxed“, ihre Kinder wachsen in einem multikulturellen Umfeld auf. „Ich möchte meine Kinder so liberal wie möglich erziehen. Man sollte nicht für Normalität kämpfen, sondern für ein fortschrittliches, reifes Denken, für eine freie Gesellschaft, für interessante politische Ideen.“ Große Worte einer großen Künstlerin, die davon überzeugt ist, dass man „sein Glück in der Freiheit und nicht aus der Enge heraus finden muss“.

Life is a Cabaret – Ute Lempers Lebensstationen

Ute Lemper wird 1963 in Münster geboren. Sie studiert am Institut für Bühnentanz in Köln und am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Lemper ist zu Beginn ihrer Karriere unter anderem in Musicalproduktionen wie „Cats“, „Peter Pan“, „Cabaret“ und „Starlight Express“ zu sehen. Lemper ist leidenschaftliche Interpretin des exotischen Kabaretts. Ihr Interesse gilt dabei Komponisten und Autoren der Zwischenkriegszeit und der Kriegsjahre wie Kurt Weill, Astor Piazzolla, Bertolt Brecht. Sie lebt an der Upper West Side in New York und feiert in Konzerthäusern weltweit Erfolge.