Volker Wissing war einer der Architekten der Ampel, nun sorgt der Verkehrsminister wie kaum ein anderer für Unruhe in der Koalition. Wie konnte es dazu kommen?

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

Volker Wissing kommt mit Diego, dem Elektrotaxi, das gerade auf den Innenhof des Hamburger Rathauses einbiegt. Das weiße Auto erinnert an die berühmten Londoner Taxis, mit großzügigem Innenraum für die Fahrgäste im Fond. Wissing steigt aus, lächelt und blickt in die Runde. Eine kleine Gruppe Journalisten, Hamburg-Besucher und die Bronzeskulpturen vom Prachtbrunnen des Innenhofs blicken zurück. Wissing ist hier, um einen Förderbescheid zu übergeben, 18 Millionen Euro hat er im Gepäck. Denn Diego und weitere Taxis sind Teil eines Modellprojekts. Noch werden sie von Menschen gesteuert, doch bald sollen sie als Ruftaxis autonom Fahrgäste durch Hamburgs südlichen Stadtteil Harburg chauffieren. Ein angenehmer Termin für den Minister, über Geschenke freut sich schließlich jeder.

 

Die Beschenkten sind in dem Fall die Hamburger Verkehrsbetriebe. Gekommen ist auch Verkehrssenator Anjes Tjarks, ein Grüner, der nach eigenem Bekunden stets mit dem Rad zur Arbeit fährt. Tjarks bedankt sich bei Wissing für die „stabile und verlässliche“ Zusammenarbeit. In Berlin dürfte das derzeit kaum einem Grünen über die Lippen kommen.

Geburtshelfer der Koalition

Am Sonntag treffen sich die Spitzen der Koalition, um über ihre Streitpunkte zu sprechen. Bei einigen der aktuellen Konflikte zwischen SPD, Grünen und FDP steht der liberale Verkehrsminister im Zentrum. Beim Verbrenner-Aus beharkte er sich über Wochen mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Allmählich erst zeichnet sich eine Lösung ab. Mit dem Vorschlag, dass Autobahnen künftig ebenso wie Eisenbahnstrecken und Stromtrassen in schnelleren Verfahren gebaut werden sollen, brachte er so ziemlich alle Grünen gegen sich auf. Dabei gehört Wissing zu denen, die dieses Bündnis überhaupt erst ermöglicht haben. „Er war einer der Geburtshelfer dieser Koalition“, sagt jemand, der damals mitverhandelt hat. Heute ist Wissing der Störenfried der Ampel. Wie konnte das passieren?

Wissing hat mehr Ampelerfahrung als andere. 2016 half er als FDP-Vorsitzender in Rheinland-Pfalz, ein Bündnis aus SPD, Grünen und Liberalen zu schmieden. Wissing wurde unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Wirtschaftsminister in Mainz. Die Koalition hält bis heute – und regiert geräuschlos.

Als 2021 die Ampel im Bund sondiert wurde, war Wissing einer derjenigen, die seiner FDP erklärten, wie das Bündnis funktionieren kann. Inzwischen war er Generalsekretär der Liberalen und eine Autorität in der Bundespartei. Das Vorhaben glückte. Schon während der Verhandlungen war von einem „neuen Geist“ die Rede. Dieses Mal gab es keine Indiskretionen, keine Durchstecherei. Am 7. Dezember unterzeichneten die Spitzen der Koalition den Koalitionsvertrag. Aus dem FDP-Generalsekretär wurde der Bundesminister für Digitalisierung und Verkehr.

15 Monate nach Start ist vom Zauber des Anfangs nichts mehr zu spüren. Dass Wissing so viele Konflikte hat, liegt einerseits an seinem Beruf, andererseits an der Zeit. Als Verkehrsminister steuert er einen der großen Umbrüche dieser Zeit. In der Stadt wünschen sich viele Menschen mehr Radwege und neue S-Bahn-Linien. Andere wollen nicht vom Auto lassen, ein Verbot des Verbrennungsmotors halten zwei Drittel der Deutschen für falsch. Die Deutsche Bahn, zentral für die Verkehrswende, war noch nie in so schlechtem Zustand. Wissing muss aufholen, was vorherige Regierungen vernachlässigt haben.

150 000 Menschen fordern seinen Rücktritt

Auch Politiker, die ihn kritisieren, erkennen an, dass er einen schweren Job hat. Die Bevölkerung ist weniger nachsichtig: Laut einer ARD-Umfrage von Anfang März sind lediglich 14 Prozent mit seiner Arbeit zufrieden. In einer von Fridays for Future gestarteten Petition forderten 150 000 Menschen seinen Rücktritt. Die Entfremdung zwischen Wissing und seinen Koalitionspartnern hängt an der Frage des Klimaschutzes. Ein Schlüsseldatum war der 15. März 2022. Damals legte das Umweltbundesamt (UBA) einen Bericht über die Treibhausgasemissionen vor. Die Zahlen zeigten, dass besonders der Verkehrssektor die vereinbarten Ziele nicht einhält. Der neue Jahresbericht zeigt, dass der Sektor erneut die Einsparziele nicht erreicht.

Laut Klimaschutzgesetz ist der Verkehrsminister verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen. Doch er weigert sich. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags wirft Wissing sogar Rechtsverstöße vor. Dabei ist er ist Jurist mit Prädikatsexamen, hat als Richter gearbeitet. Ein Richter, der ein Gesetz missachtet, spotten sie in der Koalition.

Besonders die Grünen sind sauer auf den Minister. „Wissing macht nicht den Eindruck, dass er an einer Zusammenarbeit ernstlich interessiert ist“, sagte Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, unserer Zeitung. Die Konflikte spitzen sich zu. Beim Streit über das Verbot von Verbrennerautos nach 2035 hatte das Verkehrsministerium mehrfach zugestimmt, kurz vor der finalen Abstimmung auf EU-Ebene zog Wissing nicht mehr mit. Deutschland enthielt sich und stellte so einen lange ausgehandelten Kompromiss infrage. Wissing wollte, dass auch Verbrenner mit E-Fuels nach 2035 zugelassen werden können. Nun scheint er nachzugeben, aber die politischen Kollateralschäden sind immens. Kurzzeitig wurde daraus sogar eine deutsch-französische Krise.

Kein Selbstdarsteller, kein destruktiver Typ

Ist Wissing ein politischer Hasardeur? Einer, der eng mit Wissing in der Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz zusammengearbeitet hat, widerspricht. Obwohl er nicht dasselbe Parteibuch hat, ist er voll des Lobes: „Er ist kein destruktiver Typ, er ist ernsthaft und vernünftig.“

In einer Partei, der es mit Wolfgang Kubicki und Christian Lindner nicht an Selbstdarstellern mangelt, pflegt Wissing einen anderen Stil. Er wuchs in einem calvinistisch geprägten Elternhaus auf, sein Vater war Laienprediger, Sohn Volker spielte Orgel in der Gemeinde. Die Rolle des Rabauken passt nicht zu Wissing.

Dass er Themen zuspitzt und Streit nun öffentlich austrägt, mag mit der Lage der FDP zu tun haben. Bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und dem Saarland flog sie aus dem Landtag, in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein aus der Regierung. Würde jetzt im Bund gewählt, müsste die FDP darum bangen, in den Bundestag einzuziehen. Bislang profitieren die Liberalen nicht von der Koalition, in die Wissing sie geführt hat.

Das soll der Koalitionsausschuss am Sonntag ändern. Eines der wichtigsten Themen wird die Planungsbeschleunigung sein. Danach gefragt, was er vom Koalitionsausschuss erwarte, sagte Wissing, er sei „zuversichtlich“, dass man den gordischen Knoten durchschlagen könne. „Wir müssen in vielen Bereichen schneller werden, was die Infrastrukturplanung angeht. Auch weil wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen.“ Worte, die nicht nur die Hamburger Grünen gern hören. Doch beim Koalitionsausschuss geht es nicht nur um Sachfragen. Die Ampel muss den Dauerstreit hinter sich lassen, zu einer besseren Zusammenarbeit finden. Ob das gelingt? Wenn einer dafür die Weichen stellen kann, dann wohl Volker Wissing.