In der DDR aufgewachsen, hielt Charly Hübner Schauspieler lange Zeit nicht für einen Beruf. Nachdem er im „Leben der Anderen“ mitgewirkt hatte, gab sein Vater zu, dass er für die Stasi tätig war. Der StZ-Autor Matthias Ring ist ihm begegnet.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgart - Hätte das Herz nicht Probleme gemacht, hätte er vielleicht als Sportler seinen Platz in der DDR gefunden. Aber um die drei großen Themen des Systems wäre wohl auch er nicht herumgekommen: Partei, Armee, Stasi. So oder so sagt Charly Hübner heute mit vierzig: „Der Mauerfall war mein Glücksfall.“ Nicht nur, weil wie für viele seiner Generation ein Teil des Wegs schon vorgezeichnet war. Als Hübner vierzehn war und sich eigentlich „nur für Heavy Metal und Dekolletés interessierte“, Mitte der achtziger Jahre in der Gemeinde Feldberg an der Mecklenburgischen Seenplatte, kamen nur die wenigsten auf die Idee, nicht bei den Pionieren und der FDJ dabei zu sein.

 

Und Hübner war sogar besonders mit dem System verstrickt, weil sein Vater Hotelier, Stadtrat, stellvertretender Bürgermeister war – und IM. Das wusste die Familie lange nicht. Heute noch kann sich Hübner seinen Vater kaum vorstellen, wie er Bilder von suspekten Personen macht. „Der konnte doch gar nicht fotografieren, und dann noch aus hundert Meter Entfernung. Was soll denn da zu sehen gewesen sein?“ Aber ein Jahr vor seinem Tod beichtete der Vater dem Sohn seine informelle Mitarbeit, nach einer Vorführung des Films „Das Leben der Anderen“, in dem Hübner junior einen Stasioffizier spielt. „Er war schon den ganzen Abend komisch, und dann sagte er mit einem Mal: ,Die Kameras, die ihr da in dem Film habt, die hatten wir nicht.‘ Und ich dachte nur: ,Wir‘?“

In der Oberstufe erste Kontakte mit der Theaterszene

Sieben Jahre sind seitdem vergangen, und so richtig weiß man immer noch nicht, welche Rolle der Vater spielte. Charly Hübners Bruder bemüht sich um Einsicht in die Akten. Im Nachhinein betrachtet, mag sich so manches an Hübners Lebensweg klären lassen, zumindest sieht er es selbst so. Das Sichloslösen von und das Anreden gegen etwas: die kleinbürgerlichen Verhältnisse in einer wenig besiedelten Landschaft mit einem sehr eigenen Menschenschlag. „Ich hatte kein Künstlerumfeld, sondern nur staatstreue Diener um mich herum.“ Und Schauspieler war für Hübner kein Beruf, das waren einfach nur Stars wie Bruce Willis oder Sean Connery. Erst in der Oberstufe kam es zu Kontakten mit der Theaterszene. Auf einer Türkeireise kurz nach dem Mauerfall hat es dann endgültig Klick gemacht. Ein Freund testete im Amphitheater von Ephesos die Akustik und gab den Hamlet: „To be or not to be . . .“ Und Hübner sagte sich: „Das wäre doch eine echt coole Sache.“ Den Freund hat er Jahre später in einer Schauspielklasse an der Ernst-Busch-Schule wieder getroffen, heute ist dieser am Kindertheater in Potsdam.

Und Hübner? Er ist ein viel beschäftigter Schauspieler: auf der Bühne, fürs Fernsehen und in Kinoproduktionen. Das Jahr 2013 meint es besonders gut mit ihm, denn erst gab es die Goldene Kamera für „Unter Nachbarn“, dann den Bayerischen Fernsehpreis für seine Rolle im „Polizeiruf 110“. Dieser Kommissar Bukow ist Hübner schon sehr nahe – auch wenn er von seiner Persönlichkeit her sehr weit weg liegt.

Der Unterschied zwischen Fernsehkamera und Bühne

„Der Witz ist, wir sind privat genau andersrum getaktet als im Film. Ich bin eher der Ruhige und Analytische, und Anneke ist mehr Rock ’n’ Roll“, sagt er über seine Kollegin Anneke Kim Sarnau. Beide hatten darum gebeten, Figuren entwickeln zu dürfen, die möglichst wenig mit ihnen zu tun haben: „Auf einer langen Reise in einem Schauspielerleben ist die Gefahr groß, dass du dann doch irgendwann bei dir landest. Also musst du dir immer wieder Stressoren schaffen, die das Spielerhirn fordern und dich nicht so schnell einrichten lassen mit einer Figur als alten Kumpel und Szenen, bei denen du dir sagst: ,Ach, da geh ich mal eben rein und sag meinen Spruch.‘“

Hübners „sportlicher Ehrgeiz“ ist herauszufinden: „Wie geht einer normal? Wie spricht einer normal?“ Und über allem stehe die zentrale Frage für einen Charakter: „Warum ist jemand so geworden, wie er ist?“ Wobei sich das Authentische, das Unmittelbare seines Spiels auf TV-Filme bezieht, die ein realistisches Bild zeichnen wollen. Auf der Metaebene im Theater und auf der Leinwand gehe es darum, durch Überhöhung zu verdeutlichen. Noch extremer sei es bei der Comedy mit dem Stilmittel Übertreibung. Das kann er ja auch: 2008 bekam er für „Ladykracher“ mit Anke Engelke den Deutschen Comedypreis.

Wenngleich Hübner auf vielen Hochzeiten tanzt – das „Geschenk des Senders“ für den Sonntagabend weiß er besonders zu schätzen. Als einer, der mit analytischem Blick die Arbeit der Kollegen durchleuchtet, sagt er, angesprochen auf solche, die in ihren Rollenkonstellationen erstarren: „Die suchen genau wie wir alle, aber manchmal sind die Mutterschiffe vielleicht schwerer zu bewegen.“ Durch die internationale Koproduktion „Transporter“ weiß er auch, wie anders und flexibel Fernsehen in den USA gemacht wird. Ob Hollywood ein Thema für ihn ist? Anfragen habe es schon gegeben, „aber ich sitze jetzt nicht zu Hause und warte auf den nächsten Anruf“.

Sein Lebensmotto: Es kommt, wie es kommt

Hübners Lebensmotto ist: „Es kommt, wie es kommt“, denn trotz der Vergangenheit mit ihrem „hätte nicht“ und „wäre nicht“ sagt er über die Zukunft: „Das Leben ist kein Konjunktiv, das ist nur das System, das sich mit seinen Fragen aufdrängt: Was passiert in drei Jahren? Was ist mit der Altersvorsorge?“ Bei ihm „wird der nächste Pfennig sofort in Lebensfreude investiert“. Der Mann wirkt rundum zufrieden. Das muss man ihm einfach glauben, so ungemein offen gibt er sich im Gespräch.

Nach allen Fragen und anderthalb Stunden bei Wasser und Rosé an einem der heißesten Tage des Jahres, an dem sich die Mittagshitze in der Gasse vor seinem Stuttgarter Hotel staut, schiebt Hübner hinterher: „Das ist auch eine Lehre aus dem Tod meines Vaters: Es war ein ganz schneller Tod, ein blöder Zufall, ein Aortenaneurysma. Er wollte noch so viel, aber irgendwie fehlte ihm jemand an der Seite, der sagte: ,Komm, wir machen das jetzt einfach!‘ Und an diesen Punkt will ich nicht kommen – wenn das Wollen größer wird als das Tun.“

Theater und Verbrechen

Charly Hübner war Ensemblemitglied am Schauspiel Köln und folgt nun zur Saison 2013/14 der Intendantin Karin Beier ans Deutsche Schauspielhaus nach Hamburg. Ebenso wie seine Frau Lina Beckmann, die 2011 von der Zeitschrift „Theater heute“ zur Schauspielerin des Jahres gewählt wurde.

Am Sonntag um 20.15 Uhr wird der achte NDR-„Polizeiruf“ aus Rostock mit Charly Hübner ausgestrahlt. In „Zwischen den Welten“ geht es um den Mord an einer Studentin, deren kleine Tochter Zeugin der Tat war. Alexander Bukow und Katrin König finden lange Zeit kein Motiv für das Verbrechen.