Markus Hertel sammelt alte Modelle – mehr als 80 Stück stehen in seiner Scheune.

Weissach - Ein schickes Mountainbike mit Carbon-Lenker, 24er Gangschaltung und dem ganzen Schnickschnack von heute kommt bei Markus Hertel nicht ins Haus. Wenn der Mann in die Pedale tritt, dann am liebsten auf einem nicht mehr so taufrischen Standard-Rad mit Dreigang-Nabenschaltung von Fichtel und Sachs, Baujahr 1955. „Das gute Stück ist mehr als 60 Jahre alt, und es hat mich noch nie im Stich gelassen”, erzählt er. Anders als neulich auf einem relativ neuen Rad. „Da war gleich mal die Kette gekracht!”

 

Der Flachter weiß die alte Wertarbeit zu schätzen. So sehr, dass in seiner Scheune 80 Oldtimer-Fahrräder stehen. „Es sind nicht die exklusivsten, sondern vor allem Alltagsfahrräder“, sagt er. Die meisten stammen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, das älteste sogar von 1898. Die ersten Rennräder mit Schaltung aus den Zwanzigern sind dabei oder ein Diamant-Rennrad, das beim Bausparkassen-Rennen in Leonberg im Einsatz war.

Und dann gibt es noch eine ganze Armada an französischen Vintage-Bikes. Die haben es ihm besonders angetan, nicht der Technik wegen. „Die deutschen Fahrräder waren bis in die sechziger Jahre immer schwarz, die französischen dagegen bunt“, erklärt er. „Und die sind natürlich ein Hingucker, weil man sie bei uns nicht häufig sieht.“ Der Flachter schwärmt von seinem „Charles Pelissier”-Briefträgerfahrrad mit verchromten Felgen oder dem BGA-Rennrad von der Tour de France mit zwei Ritzeln und Papillons am Hinterrad für einen schnellen Wechsel bei Berg und Talfahrten. „An manchen Fahrrädern ist sogar noch eine Steuermarke drauf”, sagt er und erklärt: „Bis 1959 musste man zehn Franc pro Jahr und Fahrrad abdrücken.“

Er findet die Räder überall

Die meisten Stücke hat er vom Sperrmüll oder Flohmarkt. Und wenn er mit seinem VW-Bus in Frankreich unterwegs ist, dann kommt er selten ohne ein neues Exemplar zurück. „Häufig kommen sie auch zu mir hergelaufen“, sagt er und lächelt. Denn man kennt den Sammler weit über den Ort hinaus und weiß, dass die Oldtimer bei ihm gut aufgehoben sind. Der 52-Jährige sieht sich aber nicht als Restaurator und will die Räder im Original-Zustand belassen. Übrigens: Seine Fundstücke gibt es in der Ausstellung „200 Jahre Fahrrad” im Leonberger Stadtmuseum zu sehen. Diese stehen auch in mehreren Geschäften in Rutesheim. „Dort gibt es nicht mehr viele alte Häuser”, sagt er. „Dann kann man sich wenigstens alte Fahrräder angucken!”

Bei den Fahrrädern von heute vermisst er die liebevollen Details von einst. „Embleme oder Gravuren gibt es nicht mehr“, sagt Hertel, der nicht nur Fahrräder sammelt, sondern auch die Geschichten dahinter kennt. Als in den sechziger Jahren die ersten Mopeds auf den deutschen Markt kamen, passierte das, was er als den „Niedergang der Fahrradkultur“ beschreibt er. Seine Leidenschaft entdeckte der in Leonberg aufgewachsene Hertel, der später nach Rutesheim zog, als kleiner Bub. „Ich hatte einen Freund, der ein Standard-Fahrrad aus den Dreißigern hatte“, erzählt er. Ein Fahrrad für echte Jungs, das jede Schandtat mitmachte. Später legte auch er sich so ein Modell zu und war seitdem von der Stabilität und Formschönheit der alten Drahtesel begeistert. Fortan klapperte er Schrottplätze ab und stellte den Hobbyraum seiner Eltern zu. „Den Grundstock für meine Sammlung hatte ich aber beim Rutesheimer Kuhbauer Gotthilf Epple in der Scheune entdeckt“, erzählt er und meint eine Bosch-Trommellampe von 1920. Nach „harten“ Verhandlungen habe er ihm das Stück für 3,50 Mark überlassen.

Ein grüner „Realo“

Mit dem Gedanken, das Hobby zu seinem Beruf zu machen, habe er immer wieder gespielt. „Damals konnte man aber als Fahrradhändler noch kein Geld verdienen“, sagt der Flachter, der im Porsche-Entwicklungszentrum als Karosseriebauer im Prototypenbau arbeitete und nebenher motorisierte Oldtimer in Stand setzte. Außerdem finde er, dass man Hobby und Berufliches nicht unbedingt vereinen sollte.

„Sonst verliert das, was man gerne tut, seinen Zauber“, sagt der Mann, der mittlerweile Zimmermeister ist und in der eigenen Werkstatt „Woodstock“ mit natürlichen Dämmstoffen herumwerkelt. „Seit über 30 Jahren bin ich bei den Grünen“, erklärt er und schiebt sogleich hinterher: „Aber ich bin Realo!“

Heute könnten ihm die Räder einen lukrativen Nebenverdienst verschaffen. Denn die Nachfrage nach alten Fahrrädern ist groß. „Wenn man ein Bike für 3000 Euro kauft, ist es fünf Jahre später nur noch 1000 Euro wert. Bei den Oldtimern bleibt der Wert erhalten und steigt langsam“, weiß der Flachter, der seine Sammlung aber nicht zu Geld machen möchte. Irgendwann, so sein Wunsch, sollen die Fahrräder in ein Museum kommen.

Und dazu hat Markus Hertel natürlich auch schon eine Idee. „Vielleicht findet sich an dem Museumsradweg von Weil der Stadt bis Nürtingen eine Gemeinde, die bereit ist, ein Fahrradmuseum zu eröffnen“, sagt der Fahrradnarr und ist sich sicher: „Da gibt es doch nichts, was passender wäre!“