Er weiß oft nicht, was er denken und meinen soll. Der Kabarettist Dieter Nuhr warnt jedoch davor, andere für bekloppt zu halten – man könnte ja selbst ein pathologischer Fall sein. Eins weiß er jedoch sicher: Die Piratenpartei mag er nicht.

Offenburg - Er hält das kleine Aufnahmegerät wie ein Mikrofon in der Hand. Eben noch auf der Bühne in der ausverkauften Oberrheinhalle in Offenburg, jetzt schon im Interview – da kann man die Gerätschaften schon mal verwechseln. Dieter Nuhr gönnt sich keine Verschnaufpause, Reden ist sein Job. Nach dem Auftritt schnell ein paar Fotos mit den Fans, ein paar Autogramme, ein bisschen Smalltalk am Merchandisingstand – kein Problem für den Hansdampf in allen Gassen.

 

„Mich strengen die Auftritte nicht an“, sagt der 51-Jährige, der momentan auf allen Kanälen präsent ist. Als Buchautor, TV-Comedian, Fotograf, Kabarettist und Moderator tingelt er durch die Medienlandschaft. Angst, sich dabei zu verheizen, hat er nicht: „Ich habe ja nur dieses eine Leben zur Verfügung, also sollte man auch alles mitnehmen.“ Und wie das so ist, wenn der Erfolg erst mal anrollt, dann scheint die Welle zunächst kein Ende zu nehmen.

„Die Anstöße kommen eigentlich immer von anderen. Die Leute fragen mich ‚Willst du nicht ein Buch schreiben?‘ Erst lehne ich ab, dann krame ich ein bisschen rum, finde noch Material, und am Ende veröffentliche ich ein Buch.“ Genauso sei das mit der Quizshow „Null gewinnt“ gewesen, die er für das Vorabendprogramm der ARD produziert hat und die am Freitag gestartet ist. „Erst dachte ich, das ist nichts für mich. Bis ich dachte, ach, warum soll ich das nicht mal ausprobieren, ist doch lustig.“

„Ich weiß nie genau, was ich gerade denken soll“

So ist er, der Dieter Nuhr: er denkt erst das eine, um im nächsten Moment genau das Gegenteil davon zu denken. „Ich weiß eigentlich nie genau, was ich gerade denken soll“, sagt er. „Ich denke immer gleich das Gegenteil mit, das ist das zweiflerische Element in mir. Das macht mich aber keineswegs unglücklich – eher fassungslos denjenigen gegenüber, die immer so einen klaren Standpunkt vertreten. Damit hatte ich schon immer Probleme, weil ich stets auch den Irrtum mit einbeziehe.“

Manche Kabarettkollegen werfen Dieter Nuhr aufgrund dieser Charaktereigenschaft Haltungslosigkeit vor. „Gerade altgediente Kollegen rempeln mich gerne mal an, ich hätte keine Haltung. Was meistens so viel heißt wie: ich habe eine Haltung, die nicht der ihren entspricht.“ Er sagt diese Sätze zwar in seiner gewohnt zurückgelehnten Art, doch man merkt genau, dass man nun an einem wunden Punkt angelangt ist. „Toleranz und Kabarett, das geht nicht so richtig zusammen, es herrscht eine ziemliche Verbissenheit.“

„Ich glaube, das ich auch sehr viele bekloppte Gedanken habe“

Und dann holt er aus: „Ich finde zwar auch vieles bekloppt, was die Leute so denken, aber ich kann das akzeptieren, ich glaube, dass ich auch sehr viele bekloppte Gedanken habe. Ich sage immer: wenn man im Irrenhaus wohnt, sollte man nicht die anderen für bekloppt halten. Man sollte in Betracht ziehen, dass man selbst ein pathologischer Fall sein könnte.“

Das ist so ein typischer Nuhr-Satz, den er auch auf der Bühne gern sagt. Während das dort allerdings souverän, treffend und witzig klingt, wird sein Ton im direkten Gespräch bei aller Gelassenheit ziemlich scharf. Man kann sich vorstellen, dass er dabei an ganz bestimmte Personen denkt, deren Namen er niemals nennen würde.

Dieter Nuhr ist das Gegenteil von aufbrausend. Er ist besonnen und zurückhaltend. Aber wehe, jemand kommt ihm krumm. Als unflätiger Schüler hätte man bei ihm sicher nichts zu lachen gehabt – ursprünglich wollte er die Pädagogenlaufbahn einschlagen. Auf die Kabarettbühne ist er mehr oder weniger gestolpert, wie das in seiner Branche so üblich ist. „Erst wollte ich Künstler werden, dann Lehrer, und das ist nun draus geworden“, sagt er lakonisch. Und natürlich würde er selbst nie von sich behaupten, einer der gefragtesten Entertainer Deutschlands zu sein. Dieter Nuhr legt sich weder beruflich noch ideologisch gerne fest, er laviert zwischen den Genres, gibt sich mal als satirisch-politischer Analytiker, dann wieder als grotesker Alltagsphilosoph aus. „Ich mag es gern volkstümlich. Ich habe gerne alle möglichen Leute da und habe auch nichts dagegen wenn Leute ohne Abitur zu mir kommen – was viele Kabarettkollegen gar nicht gerne sehen.“

Fest steht seine Abneigung gegen die Piratenpartei

Deshalb hat er sich auch schon immer bei den Comedians sehr wohlgefühlt: „Da habe ich viel mehr Entspanntheit festgestellt.“ Nuhr jongliert mit intellektuellen Pointen ebenso wie mit „Witzen aus der Unterhose“, wie er seine mitunter derben Frauen-Männer-Witze nennt. „Meine politische Haltung ist nicht so leicht fixierbar. Weil ich nicht so stromlinienförmig bin, wird das gerne so interpretiert, als würde ich zur feindlichen Seite gehören.“

In einer Angelegenheit ist er allerdings ziemlich fixiert: in seiner Abneigung gegen die Piratenpartei. Als eifriger Facebooker und Twitterer hat er so seine Erfahrungen im Netz gesammelt. „Die Forderung, dass im Internet alles anonym sein darf, empfinde ich als Forderung, unsere Zivilisation aufzugeben.“ Er musste schon so manchen „Shitstorm“ über sich ergehen lassen, wenn er mal wieder dagegengehalten hat. „Da werde ich dann von Piraten von der Seite angeschissen“, ärgert er sich. „Ich setze mich gegen die Enteignung geistigen Eigentums ein. Und werde teilweise mit Mails von Piraten zu dem Thema zugedröhnt. Denen geht es nicht um Meinungsfreiheit, sondern um Meinungshoheit – das ist ein großer Unterschied.“

Wieder so eine moralische Kategorie, an der sich Dieter Nuhr abarbeitet. Es gibt vieles, was ihn aufregt, und das ist gut so. Das ist schließlich der Stoff, aus dem seine Kunst besteht. Den reichert er an mit seiner Süffisanz und hält den Menschen den Spiegel vor, auf dass sie die Absurditäten dieser Welt erkennen. „Ich glaube schon, dass die Leute etwas aus meinen Programmen und Büchern mitnehmen können. Die ein oder andere Forderung meine ich auch ernst, zum Beispiel, dass man sich ein wenig entspannen und sich dem allgemeinen Alarmismus unserer Zeit etwas entziehen sollte.“ Seine Zuschauer klopfen sich indes auf die Schenkel und fühlen sich verstanden – „Ja, genauso ist es“ –, ohne zu merken, dass sie vielleicht sogar selbst die Vorgeführten im Irrenhaus des Alltags sind.