Berichte über Mord- und Totschlag sind allgegenwärtig, dabei verhalten sich viele Menschen „artgemäß“, nämlich im positiven Sinne menschlich, beobachtet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Wie sagte die ältere Dame? „Heute brauche ich keine Zeitung, heute geh ich zum Friseur.“ Ein klassischer Nachrichtenumschlagplatz. Immer noch. Wie der Stammtisch oder der Bäcker. Man kann an diesen Orten live erleben, wie sich Nachrichten verbreiten. Haben Sie schon gehört? Hast du gelesen? Hast du gesehen? So werden Nachrichten dort anmoderiert. Nicht nur die Weltnachrichten, sondern auch die vielen kleinen aus der Stadt, aus der Straße, aus der Nachbarschaft. Nachrichten, die oft sehr persönlich sind. Weniger gute, aber auch gute.

 

Es lohnte sich mal, die vielen Kleinnachrichten aus dem Friseursalon, vomBäcker oder von der Straße zu einem großen Nachrichtenbild zusammenzusetzen. Vermutlich würde man erkennen, dass „die Gesellschaft“ gar nicht so schlecht ist, wie Berichte über Mord- und Totschlag, Diebstahl und Betrug manchmal vermuten lassen, und es käme heraus, dass sich auffällig viele Menschen „artgemäß“, nämlich im positiven Sinne menschlich verhalten.

Mutmachen wird belohnt

Glücklicherweise werden solche Kleinnachrichten auch an die Redaktion herangetragen. Hannelore Gollhofer, eine Leserin aus Neuweiler, berichtete dieser Tage von einem für sie spektakulär erfreulichen Erlebnis. Beim Besuch der Therme Wildbad hatte sich ihr Armband gelöst, an dem ihr Schrankschlüssel befestigt war. Sie ging zur Bademeisterin, die am Beckenrand Wassergymnastik gab. „Das haben wir gleich“, sagte die. „Hallo Leute, schaut bitte alle mal auf den Boden – ein Schlüssel fehlt.“ Keine zwei Minuten später war er gefunden. „Alle freuten sich und ich mich besonders. Es war ein schönes menschliches Erlebnis für mich“, schrieb die Leserin.

Ein anderes Beispiel: Eine junge Frau aus Gerlingen belegte ein „Freude“-Seminar . Am Ende ließen die Teilnehmer Luftballons mit eingeschweißten Mutmach-Sprüchen steigen. Wenige Tage später erhielt die „Mutmacherin“ folgende Nachricht aus Korntal: „Wir haben Ihren wunderschönen von Hand bemalten Luftballon gefunden. Das war wie ein positives Zeichen für meine komplette Familie, denn wir fühlen uns nach einem Schicksalsschlag sehr verloren. Der schöne Spruch hat uns Mut gegeben.“

Positive Nachrichten setzten sich fest

So geht es weiter: Aus Fellbach meldet sich Renate Kuschel, die nach der Lektüre einer Zeitungskolumne über die darniederliegende Grüßkultur beschlossen hat, in ihrer Umgebung kleine Zettel mit der Aufschrift: „Guten Morgen Fellbach“ an Bäume zu heften. Darunter den Satz: „Grüßen kostet nichts.“

„Sag mir, welches Buch du liest, und ich weiß, wer du bist. Sag mir welches Buch du ein zweites Mal liest, und ich weiß es noch besser.“ Der Satz stammt von dem französischen Schriftsteller François Mauriac. Vielleicht gilt das auch für Nachrichten? Nicht nur die negativen, auch die erfreulichen setzen sich in der Erinnerung fest. Wenn Ihnen solche Nachrichten begegnen, lesen Sie gerne zweimal – und denken Sie an uns.

jan.sellner@stzn.de