Ärger bei der Bürgermeisterwahl Geisingen: In letzter Sekunde zieht der Amtsinhaber seine Bewerbung zurück

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Geisingen - Parteiaustritt statt Wahlkampf, Privatier statt Bürgermeister: In dem 6000-Einwohnerstädtchen Geisingen (Kreis Tuttlingen) hat der langjährige Rathauschef Walter Hengstler kurz vor seiner anstehenden Wiederwahl einen Rückzieher gemacht. Er strebe nun doch keine dritte Amtszeit mehr an, teilte er der verdutzten Öffentlichkeit mit durchaus beleidigtem Unterton mit. Schuld sei sein Gemeinderat. „Mit solchen Leuten und für solche Leute möchte ich nicht mehr arbeiten“, wetterte er im örtlichen „Südkurier“. Seine Bewerbungsunterlagen, die er bereits vor Wochen eingereicht hatte, holte er wieder ab. Die Wahl am 30. Juni wird ohne den 55-Jährigen stattfinden. Jetzt ist er im Urlaub. Er habe „keinen Gesprächsbedarf“ mehr, erklärt er auf Anfrage.

 

Geräuschvoller Abschied kommt überraschend

Einen solchen Rumms hat Geisingen nicht mehr erlebt, seit vor Jahren Teile seines von der A 81 aus weithin sichtbaren Betonwerks in die Luft gesprengt wurden. Die damalige Detonation war geplant, der jetzige geräuschvolle Abschied des Bürgermeisters kommt völlig überraschend. 16 Jahre hatte Hengstler scheinbar ohne größere Querelen die Verwaltung geleitet. Gerade erst war er für seine CDU wieder in den Tuttlinger Kreistag gewählt worden. Doch auch von seiner Partei will er nichts mehr wissen. In einer kurzen E-Mail an den Tuttlinger Kreisvorstand erklärte er seinen Austritt. Sie bedaure den Schritt, sagt die Kreisvorsitzende Marie-Lena Weiss. „Ich kann ihn aber verstehen.“

Das Verständnis der Parteichefin kommt nicht von ungefähr. Denn genau genommen sitzt der Anlass für das Zerwürfnis im eigenen CDU-Kreisvorstand. Es ist Martin Numberger. Der 36-jährige Mitarbeiter des Tuttlinger Landratsamtes hat nämlich erklärt, sich ebenfalls für das Amt des Geisinger Bürgermeisters bewerben zu wollen, was Hengstler wohl wie ein Foul an der eigenen Mannschaft empfindet. Noch mehr ärgert ihn, dass Numberger von einer kleinen, aber feinen Gemeinderatsdelegation um seine Kandidatur gebeten worden war. Vertreter aller vier Fraktionen sollen bei dem innerhalb der CDU gut vernetzten Juristen vorstellig geworden sein. Numberger ist stellvertretender Vorsitzender der Jungen Union in Baden-Württemberg.

Freie-Wähler-Stadtrat trägt es mit Fassung

Zu den Leuten, für die Hengstler nun keinen Finger mehr krümmen möchte, gehört wohl auch Paul Haug. Der Vorsitzende der Freie-Wähler-Fraktion sitzt seit 30 Jahren im Gemeinderat und trägt es mit Fassung. Ja, man habe sich aktiv um einen weiteren Kandidaten bemüht. „Wahl heißt auch Auswahl“, sagt Haug ungerührt. Hengstler habe gewiss seine Verwaltungsarbeit beherrscht, „aber Kommunikation war nicht seine Stärke“.

Immer wieder sei man über den Stand von Projekten nicht wie gewünscht informiert worden. Wie ein Beleg dafür wirkte Hengstlers Ankündigung einer erneuten Kandidatur. Davon erfuhren die Gemeinderäte im Januar quasi nebenbei aus einer Gemeinderatsvorlage. „Der Amtsinhaber bewirbt sich erneut“, hieß es lapidar in der Stellenausschreibung für den Staatsanzeiger, von Hengstler formuliert, die der Gemeinderat abnicken sollte. Solche Hinweise im Ausschreibungstext sind nicht unüblich. Normalerweise hat ein Bürgermeister zu diesem Zeitpunkt seine Bereitschaft zu einer erneuten Kandidatur aber längt feierlich bei einer Gemeinderatssitzung oder Bürgerversammlung öffentlich gemacht.

Geisinger Wahl ist nun reine Formsache

Vielleicht hat Hengstlers Rückzieher auch mit dem Ergebnis der Kommunalwahl zu tun. Dabei sicherte er sich zwar wieder ein Direktmandat für den Kreistag. Gegenüber der Wahl vor fünf Jahren büßte er aber ein Drittel seiner Stimmen ein. Wie dem auch sei, die Geisinger Bürgermeisterwahl ist nun wohl nur noch Formsache. Unmittelbar nach Hengstlers Rückzug war die Bewerbungsphase vorbei, so dass sich keine neuen Kandidaten mehr meldeten. Für Numberger verbleibt nur ein Konkurrent: der durchaus originelle und vielseitig engagierte Ur-Geisinger Thomas Braun. Er gelangte schon zu einer gewissen Berühmtheit, weil er mit einem Trabbi, den er zu einem Tretfahrzeug umgebaut hatte, bis zum Brandenburger Tor rollte und dabei Spenden für einen guten Zweck sammelte. Verwaltungserfahrung hat der gelernte Landwirt jedoch nicht.

Offen ist derweil Hengstlers berufliche Zukunft. Bis zum Ablauf der Amtszeit im August werde er sich voll für Geisingen einsetzen, erklärte er. Für den Juni beraumte er jedoch keine Gemeinderatssitzung an. Ansonsten habe er sich noch nicht nach einer neuen beruflichen Perspektive umgesehen, erklärte Hengstler dem „Südkurier“. Unklar ist auch, was aus seinem Kreistagsmandat wird. Bisher gehe man davon aus, dass er es antrete, sagt Vizelandrat Stefan Helbig. Dass er weiterhin bei der CDU-Fraktion sitzen wird, glaubt aber niemand.