Der Stuttgarter Technologiekonzern sieht im Diesel keine überkommene Technik, sondern einen wichtigen Pfeiler im künftigen Antriebsmix. Welches Potenzial im Diesel steckt, sollen die gesetzlich verbindlichen Straßentests für neue Modelle zeigen.

Wirtschaft: Imelda Flaig (imf)

Stuttgart - Von vorne sieht das Fahrzeug, das an diesem Tag auf dem Werksgelände bei Bosch in Feuerbach steht, ganz normal aus, doch hinten recht ungewohnt. Am Heck des Autos, ist ein Messgerät namens Pems (Portable Emissions Measurement System) angebracht, das einem größeren Reisekoffer ähnelt und den Schadstoffausstoß misst. Das rund 100 000 Euro teure Gerät ermittelt zwar auch Partikel, CO2-Ausstoß und Verbrauch, für die Typzulassung eines Fahrzeugs spielen in diesem Fall aber vor allem Stickoxide (NOx), die den Auspuff verlassen, eine Rolle. Zusätzlich zur Prüfbox am Heck kommt noch eine kleinere Box im Kofferraum und ein Display im Cockpit des Fahrzeugs, auf dem der Fahrer die gemessenen Emissionswerte verfolgen kann. Dabei sitzt kein Boschler hinterm Steuer, sondern ein Redakteur.

 

Stickoxidemissionen von 34 Milligramm je gefahrenem Kilometer werden später angezeigt. Der gemessene Wert ist ein sehr guter, weil bei neuen Euro-6-Dieselfahrzeugen, die seit Herbst 2017 ihre Typzulassung bekommen haben, auf der Straße bis zu 168 Milligramm je Kilometer zulässig sind. Das Testfahrzeug zählt damit zu den saubersten Dieselautos.

Bei Bosch hängen rund 50 000 Arbeitsplätze am Diesel

Bosch wirbt beim Diesel um Vertrauen. Nicht nur der Abgasskandal, auch die Diskussion um mögliche Fahrverbote, die es in vielen europäischen Städten von London über Paris und Madrid bis Stuttgart gibt, verunsichern Autokäufer und schlagen auch auf Bosch durch. Schon in diesem Jahr könnte die sinkende Nachfrage nach Dieselfahrzeugen in Europa, die bislang noch durch ein starkes Lkw-Geschäft vor allem in China kompensiert wurde, in einigen Bosch-Werken zu Beschäftigungsproblemen führen, bestätigt ein Bosch-Sprecher. Bei Bosch hängen rund 50 000 Arbeitsplätze am Diesel, allen voran das Stammwerk Feuerbach mit etwa 11 000 Mitarbeitern.

Statt auf Emotionen setzt der Konzern auf Fakten und will beim Stickstoff-Ausstoß unter Alltagsbedingungen auf der Straße punkten. Dabei kommen dem Unternehmen die seit Herbst gesetzlich vorgeschriebenen Straßen-Prüftests zugute. Bislang herrschte ein krasses Missverhältnis zwischen den Prüfstands-Vorgaben für Autos und der Straßen-Realität. Das ist zwar schon seit Jahren bekannt, doch erst 2017 wurden Korrekturen durchgesetzt.

Für Typzulassung sind inzwischen Tests unter realen Verkehrsbedingungen Pflicht

Seit September 2017 müssen alle neuen Pkw-Modelle, die auf den Markt kommen, den so genannten RDE-Test absolvieren. RDE steht für Real Driving Emission, also Emissionswerte, die nicht auf dem Rollenprüfstand, sondern unter realen Verkehrsbedingungen gemessen werden. Mit dem neuen Testverfahren sind Abgasbetrug mit Abschalteinrichtungen oder Schummeleien mit den umstrittenen Temperaturfenstern beim Diesel nicht mehr so leicht möglich. „Der RDE-Test ist ein extrem sinnvoller Schritt in der Gesetzgebung und ein ganz wichtiges Thema für Bosch“, sagt Andreas Kufferath, Bosch-Systementwickler Diesel-Antriebsstrang, weil damit Schlupflöcher gestopft würden. Bei Bosch befassen sich rund 100 Entwickler mit der RDE-Technik. Bosch-Dieselexperte Dirk Naber, der Spezialist für Entwicklung Dieselmotor und Abgasnachbehandlung ist, spricht gar von rund 300 Entwicklungsprojekten mit Kunden zum Thema Diesel und RDE und sieht noch enorm viele Möglichkeiten, um beim Diesel den Ausstoß von Stickoxiden weiter abzusenken.

Wie wichtig das Thema für den Stuttgarter Konzern ist, zeigt auch, dass es Bosch-Chef Volkmar Denner bei der Bilanzpressekonferenz am kommenden Mittwoch zur Chefsache machen und neben Ausführungen zu den Geschäftszahlen in den Mittelpunkt rücken wird. Bosch macht bei dem Thema Druck. Mehr als 20 Versuchsfahrzeuge hat der Technologiekonzern im Einsatz, um Antriebe in der Entwicklung zu optimieren. Der Testkandidat, der die 16 Kilometer lange Fahrt durch Stuttgart absolviert hat, ist ein so genanntes Demonstratorfahrzeug, bei dem Bosch „Motor- und Abgasnachbehandlung intelligent kombiniert“ hat, wie Naber sagt – abgeändert aus serienfähigen Komponenten. Damit seien die Luftqualitätsziele mit bezahlbarer Technik zu erreichen – ohne die Vorteile des Dieselantriebs bei Verbrauch und CO2-Emissionen aufzugeben. Die Fahrt durch Stuttgart hat auch am Neckartor vorbeigeführt, das wegen der hohen Stickoxidbelastung als schmutzigste Messstelle Deutschlands gilt. Die Stadtroute gilt bei Bosch denn auch als „Extremtest“ mit Stau und Stop-and-go. Bei den Testfahrten der Bosch-Mitarbeiter auf dieser Route lagen die Emissionen im Durchschnitt bei 43 Milligramm je Kilometer.

Straßenwert darf Laborwert maximal um das 2,1-fache überschreiten

„Werte, die deutlich unter den Regulierungsanforderungen liegen“, freuen sich Naber und Kufferath. Zum Vergleich: Im Labortest müssen die Fahrzeuge einen Grenzwert von 80 Milligramm je Kilometer erreichen, auf der Straße dürfen die neuesten Euro-6-Diesel, die vom Stichtag 1. September 2017 erstmals für den Straßenverkehr zugelassen werden, bis 2020 noch maximal das 2,1-fache (168 mg/km) über den NOx-Grenzwerten für das Labor liegen – ein so genannter Konformitätsfaktor. Danach wird der Wert auf 120 Milligramm pro gefahrenem Kilometer abgesenkt. Der Straßentest muss bestimmte Kriterien und eine Kombination aus Stadtverkehr, Überland- und Autobahnfahrt erfüllen.

Auf dieser Kombi-Stecke hatte das von Boschlern gefahrene Testfahrzeug NOx-Emissionen von 13 Milligramm je Kilometer. Ein sauberer Diesel, dessen Emissionen künftig noch niedriger ausfallen sollen. „Wir erwarten, dass der Beitrag moderner Euro-6-Diesel (6 d und 6d_temp) zu den am Straßenrand gemessenen Luftschadstoffen vernachlässigbar sein wird“, sagt Naber. Der Testwagen der unter anderem mit verbesserter Abgasnachbehandlung (SCR-Katalysator mit Adblue-Dosierung) und weiterentwickeltem Einspritzsystem ausgestattet ist und in der Motorsteuerung optimiert wurde, könnte in zwei bis drei Jahren serienreif und auf der Straße sein.