Der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, sagt im StZ-Interview, dass er die schnelle Energiewende für machbar hält.
 

Stuttgart - Die Nutzung der erneuerbaren Energien ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll, sagt Jochen Flasbarth. Strom werde billiger und noch in dieser Generation werde das zu spüren sein: "Meine Töchter, 11 und 15, werden davon schon profitieren."

 

Herr Flasbarth, 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2050 hält eine Studie Ihres Hauses für möglich - ist das machbar ohne die "Brücke" der Atomkraft?

Ja, dies zeigen mehrere Analysen. In unserer Studie ging es um die Potenziale für 100 Prozent Stromproduktion aus erneuerbaren Energien in Deutschland. Dazu haben wir Wetterdaten analysiert und ökologische Restriktionen für den Einsatz der Technologien berücksichtigt. Sie müssen beispielsweise bei der Wasserkraft beachten, dass Sie nicht die Flusslandschaften verschandeln, auch die Windkraft hat ihre Grenzen. Wenn man das berücksichtigt, kann sich Deutschland bis 2050 vollständig mit Strom aus erneuerbaren Quellen versorgen. Und dies mit der heute am Markt verfügbaren Technik. Ich glaube, dass der frühere Atomausstieg uns das Ziel schneller erreichen lässt. Wir haben eine höhere Dynamik, den Atom- und dann den Kohlestrom aus dem Netz zu bekommen.

Welche Energie hat das größte Potenzial?

Ich plädiere dafür, sich nicht zu stark auf eine erneuerbare Energie zu konzentrieren, sonst werden Konflikte schwer lösbar. Setzen wir zu stark auf die Off-Shore-Windkraft, bekommen wir Probleme mit dem Meeresschutz und haben einen enormen Bedarf an Stromleitungen von Nord nach Süd, die Akzeptanzprobleme auslösen. Wir haben noch nicht erschlossene Reserven bei der Windenergie an Land durch Repowering und durch den Ausbau in den südlichen Bundesländern. Potenziale liegen auch in der geothermischen Stromerzeugung. Man denkt bei Geothermie meist nur an die Wärme fürs Haus - aber für die Elektrizität liegt da noch ein großes Potenzial.

Es gibt auch Widerstand gegen "grüne Projekte" wie Speicherkraftwerke und Windräder - haben Sie dafür Verständnis?

Ich hielte es für falsch, die Sorgen der Menschen zu marginalisieren. Man kann ihnen nicht sagen, eure Bedenken sind irrelevant, weil wir die große Aufgabe der Energiewende haben und da müssen alle Einwände zurücktreten. Es kann nicht sein, dass die Heimatliebe der Menschen nur willkommen war, als sie sich gegen den Bau von Autobahnen oder Großkraftwerken gerichtet hatte. Wir müssen um die Akzeptanz werben und die Belastungen verringern. Das geht bei den Stromtrassen beispielsweise durch eine stärkere Bündelung. Es ist eine Illusion zu glauben, dass nach dem Ende des nuklear-fossilen Zeitalters plötzlich überall gesellschaftlicher Konsens besteht. Es gibt neue Konflikte, die ausgetragen werden müssen. Am Anfang muss ein Dialog stehen, am Ende muss entschieden werden.

Es wird versucht Verständnis für die Kohlendioxid-Verpressung (CCS) zu wecken - mit mäßigem Erfolg. Muss der Gesetzgeber hart durchgreifen?

Die CCS-Technik zielt in der gegenwärtigen Debatte darauf ab, die Kohlekraft vereinbar mit dem Klimaschutz zu machen. Das Umweltbundesamt hat da eine differenzierte Haltung. Wir glauben, dass man CCS am wenigsten in der Stromerzeugung für die Kohlekraftwerke brauchen wird, sondern auf lange Sicht eher dafür, industrielle Prozesse bei der Aluminium- oder Zementproduktion kohlendioxidfrei zu gestalten. Man sollte CCS nicht in Bausch und Bogen verdammen.

Keine drastischen Erhöhungen des Strompreises

Fördert der Atomausstieg den Klimakiller Kohle?

Nein, das höre ich immer wieder, aber die Annahme ist einfach falsch. Wir haben in Europa einen Emissionshandel, mit dem ein Deckel auf die gesamte CO2-Emission auch aus der fossilen Stromerzeugung gelegt ist. Wenn wir mehr Kohle verstromen, dann wird an anderer Stelle weniger Kohlendioxid ausgestoßen, weil die Emissionszertifikate für die Elektrizitätserzeugung genutzt werden. Der Klimaschutz leidet darunter nicht. Es wäre aber ein Fehler, jetzt mit dem Bau von weiteren als den bisher geplanten Kohlekraftwerken zu versuchen, die Atomkraft zu substituieren. Schrittweise müssen auch die Kohlekraftwerke vom Netz.

Kommen drastische Erhöhungen des Strompreises auf uns zu?

Damit rechne ich nicht. Es wird durch den vorgezogenen Atomausstieg zu moderaten Strompreissteigerungen kommen, im Mittel bis 2030 nur zirka 0,6 bis 0,8 Cent pro Kilowattstunde am Großhandelsmarkt, zeigt zum Beispiel eine Analyse der BET GmbH. Aber alle Gutachter sind sich einig, dass in der langen Perspektive die Versorgung mit Erneuerbaren billiger wird. Wir haben neue Investitionen mit der Energiewende, es werden Arbeitsplätze geschaffen, Steuereinnahmen werden steigen.

Fritz Vahrenholt von der RWE-Innogy hat wegen des Atomausstiegs vor der Abwanderung von Industrien gewarnt.

Die Äußerungen von Fritz Vahrenholt sind seit längerem interessengeleitet. Sie entsprechen nicht der Realität. Auf die Industrie kommt keine drastische Strompreiserhöhung zu. Bei ihr sind große Potenziale zum Stromsparen vorhanden. Die Betriebe leiden nicht nur unter dem Emissionshandel, sie profitieren davon. So wurden in der Stahlbranche 2010 für mehr als 100 Millionen Euro Emissionszertifikate verkauft, die der Staat kostenlos zugeteilt hatte.

Muss der Staat den Bürgern alles vorschreiben, sollte er nicht allein die Rahmenbedingungen in der Energiepolitik setzen?

Den Weg beschreitet er doch! Nochmal das Beispiel Emissionshandel: Der Staat schreibt keine Technik vor, er setzt nur die Emissionsobergrenze fest. Ob das Unternehmen die Technik X oder Y einsetzt oder Emissionszertifikate zukauft, entscheidet allein der Markt. Die Förderung von erneuerbaren Energien, die zunächst nicht marktfähig waren, war sinnvoll. Wir haben gesehen, wie rasch die Preise für Strom aus Wind oder Photovoltaik gesunken sind. Die Förderpolitik war richtig.

Start als Vogelschützer

Umweltlobbyist: Mit 16 Jahren war Jochen Flasbarth (49), gebürtig aus Rheinhausen bei Duisburg, bei den Vogelschützern. Seinen Zivildienst machte er im Vogelschutzverein Jordsand, studierte später Volkswirtschaft und wurde Präsident des Naturschutzbundes. 2003 holte ihn Jürgen Trittin als Abteilungsleiter ins Umweltministerium, seit 2009 ist er Präsident des Umweltbundesamtes.

Vortrag: Am Mittwoch, 18. Mai, 19.30 Uhr, wird Jochen Flasbarth im Naturkundemuseum am Löwentor in Stuttgart einen Vortrag halten. Sein Thema: "Notwendige Schritte zu einer ambitionierten Energie-, Klimaschutz und Klimaanpassungspolitik".