Präsident des VfB Stuttgart Warum Claus Vogt alles auf eine Karte setzt

VfB-Präsident Claus Vogt lässt nach langem Schweigen die Maske fallen. Foto: Leif Piechowski

Mit seinem Versuch, die Mitgliederversammlung zu verschieben, fordert VfB-Präsident Claus Vogt nicht nur seine Präsidiumskollegen heraus. Ob der riskante Plan wohl aufgeht?

Stuttgart - Der Morgen des 27. Januar 2021 beginnt in der Landeshauptstadt Stuttgart ohne nennenswerte Zwischenfälle. Wie vorausgesagt geht die Sonne um 7.59 Uhr auf, die Meteorologen warnen zwar vor Glätte durch leichten Schneefall, der öffentliche Personennahverkehr aber rollt weitgehend störungsfrei. Plangemäß nehmen die Dinge auch in Bad Cannstatt ihren Verlauf, wo die Profikicker des VfB Stuttgart einen freien Vormittag genießen und sich erst am Nachmittag zum Training treffen werden.

 

10.06 Uhr ist es, als dieser Mittwoch eine unerwartete Wendung nimmt. Auf der Homepage und den anderen offiziellen Kanälen des Stuttgarter Bundesligisten erscheint eine „Information an die Mitglieder des VfB Stuttgart 1893 e.V.“, von der schnell klar wird, dass sie das krisengestählte Clubhaus mit dem roten Dach stärker erschüttert als jede andere Nachricht der vergangenen Jahrzehnte.

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In einem beispiellosen Alleingang kündigt der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende Claus Vogt die Verlegung der für 18. März geplanten Mitgliederversammlung auf 5. September an und fährt gleichzeitig schwere Geschütze gegen langjährige Führungskräfte des VfB auf. Thomas Hitzlsperger gegen Claus Vogt, so hat zuvor das vom Vorstandsvorsitzenden angezettelte Duell gelautet – jetzt ist es der Präsident, der fast die komplette Führung herausfordert und die vereinspolitische Krise damit auf die Spitze treibt. Ungewiss ist sowohl die Dauer als auch der Ausgang dieses nun endgültig völlig aus dem Ruder gelaufenen Machtkampfs.

2008 Worte, 15 027 Zeichen umfasst Vogts Schreiben, das Unmengen von Zündstoff enthält. Mit „berechtigten Interessen der Mitglieder“ begründet Vogt seine Entscheidung, die Mitgliederversammlung um ein halbes Jahr verschieben zu wollen. Als da wären: die Sorge vor technischen Problemen bei einer rein virtuellen Veranstaltung; und vor allem der Umstand, dass sich der VfB in der „größten internen Krise“ befinde, „die dieser Verein in seiner lebhaften Geschichte erlebt hat“.

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Es ist eine Entscheidung, die Claus Vogt „gegen den erklärten Willen meiner beiden weiteren Präsidiumsmitglieder“ getroffen hat, nachdem er vergeblich versucht habe, sich mit seinem Anliegen bei Bernd Gaiser und Rainer Mutschler sowie dem Vorsitzenden des Vereinsbeirats, Wolf-Dietrich Erhard, Gehör zu verschaffen. Statt eine konstruktive Debatte zu führen, hätte ihn das Trio dazu drängen wollen, „dass ich noch deutlich vor dem spätesten Einberufungsdatum 10. Februar umgehend eine quasi unwiderrufliche Festlegung auf die Durchführung der Mitgliederversammlung am 18. März treffe“. Und nicht nur das: Er sei, wie Vogt schreibt, nicht nur bedrängt worden, nein, noch schlimmer: „Nicht nur durch die Blume“ seien ihm „hohe Schadensersatzforderungen“ angedroht worden.

Die Replik der Präsidiumskollegen Gaiser und Mutschler folgt am Abend. Auf die „Vielzahl der Unterstellungen und Anschuldigungen“ wollen sie „nicht weiter eingehen“ und verweisen auf den am 2. November einstimmig gefassten Beschluss, die Versammlung am 18. März zu veranstalten: „Über diese Beschlussfassung kann sich niemand, auch nicht der Präsident, hinwegsetzen, ohne gegen die Satzung zu verstoßen.“ Ein Festhalten betrachten Gaiser und Mutschler nicht allein aus rechtlichen Gründen für zwingend: „Ein Fortdauern des aktuellen Zustandes bis September halten wir gegenüber dem Verein für nicht zumutbar.“ Der VfB brauche „jetzt Klarheit, wer den Verein als Präsident in den nächsten vier Jahren führen soll“. Nur so könne „Einigkeit und Befriedung herbeigeführt werden“.

Claus Vogt sieht dies grundlegend anders – auch weil die Affäre um die Weitergabe Zehntausender von Mitgliederdaten an Dritte, deren lückenlose Aufklärung er versprochen hat, noch immer viele offene Fragen aufwerfe. „Die wirtschaftlichen Folgen einer unsorgfältigen, intransparenten Aufklärungsarbeit und einer übereilten Bewertung dürften unserem Verein und der VfB AG weit teurer zu stehen kommen als die Absage eines Druckauftrages für das Mitgliedermagazin.“

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Die Datenaffäre benannte Vogt bereits in seinem offenen Brief vom 31. Dezember, mit dem er auf die Attacken Hitzlspergers reagierte, als Hauptgrund für die Anfeindungen im eigenen Lager. Wie groß die Differenzen über den Umgang mit den Ermittlungsergebnissen noch immer sind, das deutet Vogt nun zumindest an: „Leider“ sei es bis heute nicht gelungen, „einen Auftrag zu der nach Vorliegen des Abschlussberichts notwendigen rechtlichen Bewertung an eine Rechtsanwaltskanzlei zu erteilen.“ Für ihn selbst läge es auch aus Kosten- und Zeitgründen „sehr nahe“, dass die seit Monaten ermittelnde Kanzlei Esecon diese Aufgabe übernimmt. Doch will die andere Seite offenbar lieber eigene Anwälte mit der heiklen Causa beauftragen, von der auch arbeits- oder gar strafrechtliche Konsequenzen für die Drahtzieher der Datenweitergabe abhängen.

Daimler antwortet kühl auf Aussagen des VfB-Präsidenten

Im Vorbeigehen fasst Vogt auch noch ein ganz heißes Eisen an: die Rolle von Daimler in der VfB AG. Es sei zu erwarten, so schreibt der Präsident, dass sich der Ankerinvestor „intern zunächst einmal mit der Berichterstattung zum Umgang mit Daten in seiner Tochtergesellschaft befassen“ wolle, „um dort festgestellte mögliche Abweichungen zu im Daimler-Konzern gesetzten Verhaltensrichtlinien abzugleichen. Um dies insbesondere den Vertretern, die unser Mitgesellschafter in die VfB AG entsandt hat, zu ermöglichen, muss ausreichend Zeit bestehen“.

Kühl antwortet Daimler am späten Nachmittag auf eine Anfrage unserer Redaktion: „Wir bedauern, dass erneut interne Vorgänge des VfB vor Abschluss der Untersuchungen an die Öffentlichkeit gebracht werden“, teilt der Konzern mit und verwahrt sich „gegen jede Form der Vorverurteilung einzelner Personen. Wir vertrauen dem für die Präsidentenwahl zuständigen und von den Mitgliedern gewählten Vereinsbeirat.“

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