Serbiens allgewaltiger Staatschef Aleksandar Vucic hat die Präsidentschaftswahlen wie erwartet für sich entschieden. Doch seine SNS hat bei den Parlaments- und Belgrader Kommunalwahlen kräftig Federn gelassen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Pflichtschuldig knallten im Sitz von Serbiens nationalpopulistischer SNS die Champagnerkorken. Blechern schmetterten die Hörner der angeheuerten Bläser muntere Balkanweisen. Doch selbst die ihm dargebotene Torte mit seinem Abbild ließ der sichtlich angefressene Wahlsieger Aleksandar Vucic in Serbiens chaotischer Wahlnacht achtlos stehen.

 

Er habe etwas geschafft, was noch nie jemand in Serbien gelungen sei, verkündete der alte und neue Präsident trotzig mit leichenbitterer Miene: „Ich bin der Einzige, der zweimal in der ersten Wahlrunde gewonnen hat.“ Verschnupft zeigte er sich über den Einwurf einer Journalistin, dass der frühere Autokrat Slobodan Milosevic aber erheblich mehr Stimmen erhalten habe. Damals habe das Land auch mehr Einwohner gezählt, schnaubte er zurück.

SNS und SPS verlieren bisherige Mehrheit im Stadtrat

Tatsächlich hatten 58,94 Prozent dem Liebhaber des Eigenlobs schon im ersten Wahlgang am Sonntag die Wiederwahl gesichert. Der vom Oppositionsbündnis US nominierte Ex-Generalstabchef Zdravko Ponos landete mit 18,01 Prozent abgeschlagen auf dem zweiten Rang. Doch die von Vucic geführte SNS musste bei der Parlamentswahl mit 43,21 Prozent kräftig Federn lassen – deutlich weniger als bei den Wahlen 2020 (60,65 Prozent) und 2016 (48,25 Prozent).

Lesen Sie aus unserem Angebot: Ukraine-Krieg – Serbien ist zwischen Russland und dem Westen zerrissen

Bei der gleichzeitig steigenden Kommunalwahl in Belgrad verloren die bisherigen Regierungsparteien SNS und SPS zudem ihre bisherige Mehrheit im Stadtrat. „Diese Wahlen sind der Beginn vom Ende der SNS-Regierung und von Aleksandar Vucic“, freute sich sein Oppositionsrivale Ponos.

Drei Rechtsausleger ziehen ins Parlament ein

Tatsächlich wird die SNS selbst bei dem von dem angesäuerten Vucic in der Wahlnacht angedeuteten Austausch des bisherigen Koalitionspartners SPS (11,6 Prozent) im neuen Parlament problemlos eine neue Regierungsmehrheit bilden können. Denn außer den Minderheitsparteien sowie den prowestlichen Oppositionslisten der US (13,2 Prozent) und der grünen Moramo (4,4 Prozent) gelang mit der nationalkonservativen Nada-Liste (5,4 Prozent), den rechtsklerikalen Dveri (3,8 Prozent) und den rechtsnationalen Zavetnici (3,7 Prozent) gleich drei Rechtsauslegern der Parlamentseinzug.

Über einen „dramatischen Rechtsruck“ klagte Vucic – und machte dafür die „Auswirkungen der Ukraine-Krise“ verantwortlich. Tatsächlich unterscheidet sich das patriotische und oft russophile Vokabular der Neuparlamentarier kaum von dem der regierungsnahen Boulevardpresse und der meisten SNS-Abgeordneten: Zumindest die Nada und Zavetnici könnten problemlos mit der SNS ins Regierungsboot steigen.

Ausgang der Kommunalwahl noch offen

Der Ausgang des Nachwahlkampfs ums Belgrader Rathaus ist noch offen – und könnte auch von der Regierungsbildung abhängen: Die an die Futtertröge drängende Nada-Liste könnte sich sowohl der SNS als auch der Opposition als Mehrheitsbeschafferin aufdrängen. Doch vor allem der chaotische und von zahlreichen Unregelmäßigkeiten überschattete Ablauf von Serbiens Superwahltag beschäftigte nach dem Urnengang die Analysten. Oppositionspolitiker hin, Phantomwähler und Stimmenkauf her: Die Wahlen seien „in bester Ordnung“ verlaufen, beteuerte Vucic. Doch dass die Wahlkommission (RIK) die Bekanntgabe erster Ergebnisse kurzerhand auf den nächsten Tag verschob und stattdessen SNS-Chef Vucic die Resultate verkündete, bewertete der Soziologe Zoran Gavrilovic als „erneute Demonstration, dass die Partei stärker als der Staat und seine Institutionen ist“.

Zu seiner sauertöpfischen Miene hatte in der Wahlnacht jedoch auch der vermeintliche Triumphator Vucic allen Grund. Serbiens Dominator dürfte in seiner zweiten Amtszeit nicht nur die bröckelnde Machtposition seiner Partei, sondern auch der verschärfte Gegenwind in der internationalen Arena zu schaffen machen. Das mühsame Lavieren zwischen West und Ost wird ihm bei wachsendem EU-Druck zur Übernahme der Russland-Sanktionen noch schwerer fallen. „Vor uns stehen viele Herausforderungen“, orakelte der Mann mit der Hornbrille mit versteinerter Miene in der Wahlnacht.

Unregelmäßigkeiten am Wahltag

Entsetzen
Anstelle der Wahlkommission gab Serbiens Präsident und SNS-Chef Aleksandar Vucic die ersten Resultate bekannt. Analysten zeigten sich entsetzt. Sie könne sich an keinen Fall erinnern, dass „die Wahlkommission mitten in der Wahlnacht ihre Taschen packt und nach Hause geht“, so die entgeisterte Analystin Biljana Stepanovic: „Niemand glaubt, dass dies aus anständigen Gründen geschah.“

Untergrabenes Vertrauen
In Serbien sei der Präsident verfassungswidrig Parteichef und offenbar nun auch Vorsitzender der Wahlkommission, ätzte der Analyst Cvijetin Milojevic. Die RIK habe das „ohnehin kompromittierte“ Vertrauen in die Institutionen weiter untergraben, so der Publizist Zoran Panovic: „Für unsere Demokratie ist das eine schlechte Nachricht.“