Der VfB Stuttgart will es nicht noch einmal zu einer derart turbulenten Mitgliederversammlung kommen lassen - so wie am Sonntag.

Stuttgart - Am Ende eines langen Sonntags wird es noch einmal dramatisch - diesmal nicht in der Schleyerhalle, sondern im Fernsehgerät, das in der VfB-Geschäftsstelle steht. Dorthin hat sich die Führungsriege des Bundesligisten nach der neunstündigen Mitgliederversammlung zurückgezogen und schaut sich zum Abschluss das Elfmeterschießen bei der Frauen-WM an. Nach elf ist es, als Japan den Titel feiert und sich die Herren schließlich in den Feierabend verabschieden.

 

Zwei Stunden lang hat der erweiterte VfB-Vorstand zuvor bei einem ersten Treffen die Turbulenzen der Mitgliederversammlung analysiert, an deren Ende Gerd Mäuser mit Müh und Not und 58,7 Prozent der Stimmen zum neuen VfB-Präsidenten gewählt worden war. Und es werden wohl noch viele weitere Sitzungen nötig sein, bis dieser denkwürdige Tag aufgearbeitet und beschlossen ist, welche Konsequenzen zu ziehen sind.

Hundt ist beim VfB mehr als nur eine Reizfigur

Fest steht: eine solche Mitgliederversammlung will die Clubführung nicht noch einmal erleben. Viel hat nicht gefehlt, und der VfB wäre, zumindest vorübergehend, in der öffentlichen Wahrnehmung zum Chaosclub verkommen. So aufgeheizt jedenfalls war zwischenzeitlich die Stimmung unter den rund 2500 VfB-Mitgliedern, dass sogar der Präsidentschaftskandidat Mäuser selbst ernsthaft damit rechnete, mehrheitlich abgelehnt zu werden.

Allerdings hatte sich der Zorn nicht an seiner Person entzündet, sondern an Dieter Hundt. Satte 50,7 Prozent der anwesenden Mitglieder sprachen sich dafür aus, den machtbewussten Aufsichtsratschef abzuberufen. Das reichte zwar nicht zu einem Sturz, für den eine Dreiviertelmehrheit notwendig gewesen wäre. Doch zeigte dieses Votum in aller Deutlichkeit, dass Hundt trotz seiner Beteuerungen, sich nicht ins operative Geschäft einzumischen, beim VfB mehr als nur eine Reizfigur ist.

Stärker den Dialog mit den Mitgliedern suchen

Am Ende begnügten sich die Mitglieder jedoch damit, Hundt einen Denkzettel zu verpassen, und ließen Mäuser gerade so durchkommen. Das lag einerseits daran, dass der Opposition eine konsensfähige Führungsfigur fehlte, die die Mitglieder auf seine Seite hätte reißen können.Der frühere Torwart Helmut Roleder präsentierte sich bei seinem Auftritt wenig überzeugend; und der Bankmanager Björn Seemann ist für viele ein zu unbeschriebenes Blatt. Andererseits gelang es Mäuser in seiner rund 20-minütige Rede, viele Zweifel zu zerstreuen. "Ich war immer erfolgreich - und das erreicht man nicht, indem man als Marionette im großen Theater auftritt", sagte der Nachfolger von Erwin Staudt.

Und so haben die Mitglieder Mäuser am Ende wie vom Verein gehofft durchkommen lassen - was nichts daran ändert, dass der VfB nun nach Wegen sucht, eine derart vergiftete aufgeheizte Atmosphäre in Zukunft zu vermeiden. Dazu gehört, dass die Clubführung wie bereits von Mäuser angekündigt in Zukunft stärker den Dialog mit den Mitgliedern suchen will. Und dazu gehört auch, dass über mögliche Änderungen in der Vereinssatzung nachgedacht wird.

Staudt hat am Montag sein Büro geräumt

Eine Variante wäre, die Profiabteilung nach dem Vorbild des FC Bayern und anderer Bundesligisten aus dem Gesamtverein auszugliedern und zu einer Kapitalgesellschaft zu machen. Das böte die Möglichkeiten, die Posten an der Spitze auch ohne die Zustimmung der Vereinsmitglieder besetzen zu können. Entsprechende Pläne liegen bereits in der Schublade - und entsprechende Forderungen waren am Sonntag sogar aus der Oppositionsbewegung laut geworden, die sich eigentlich für eine stärkere Basisdemokratie eingesetzt hat.

Eine andere Variante, die diskutiert wird, besteht darin, das Votum auf der Hauptversammlung auf breitere Beine zu stellen. Am Sonntag kamen zwar so viele Mitglieder wie nie zuvor - doch entsprach ihr Anteil an der gesamten Mitgliederschaft von mehr als 45000 immer noch nur etwas mehr als fünf Prozent. Und so prüft der VfB, ob es künftig möglich ist, auf elektronischem Wege auch die Stimmen jener zu berücksichtigen, die bei den Wahlen nicht persönlich anwesend sind.

Erwin Staudt muss sich damit nicht mehr befassen. Am Montag hat er sein Büro geräumt, in das unverzüglich Mäuser eingezogen ist. Bei der Versammlung am Vortag war Staudt einer der wenigen gewesen, die uneingeschränkten Zuspruch erfahren hatten. Ausgiebig wurde der scheidende Präsident aus sämtlichen Lagern für seine Verdienste um den Verein gelobt - und führte auch in den stürmischsten Momenten umsichtig und souverän durch die Versammlung. Dem VfB hat Staudt damit einen letzten großen Dienst erwiesen.

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