Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die absolute Mehrheit bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei knapp verfehlt. Nun muss er sich seinem Konkurrenten Kemal Kilicdaroglu in einer Stichwahl stellen.

Die Präsidentenwahl in der Türkei geht in eine zweite Runde. Am 28. Mai treten in der ersten Stichwahl in der Geschichte des Landes der islamisch-konservative Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und sein säkularer Herausforderer Kemal Kilicdaroglu gegeneinander an, wie die türkische Wahlbehörde am Montag bekannt gab. Am Sonntag hatte keiner der beiden die nötige Mehrheit erhalten. Für den Langzeitherrscher Erdogan stehen die Chancen gut, das Land weitere fünf Jahre zu regieren.

 

Nach Auszählung von 99,90 Prozent der Stimmzettel lag Erdogan laut Wahlkommission mit 49,50 Prozent der Stimmen vor Kilicdaroglu, der 44,90 Prozent der Stimmen auf sich vereinte. Die Wahlbeteiligung betrug 88,90 Prozent.

Für wen stimmen Ogans Wähler?

Sowohl Erdogan als auch Kilicdaroglu erklärten sich bereit, in die Stichwahl zu gehen. Für deren Ausgang könnte die Wahlempfehlung des dritten Kandidaten und Ultranationalisten Sinan Ogan ausschlaggebend sein, der bei der Wahl am Sonntag auf 5,2 Prozent kam. „Im Falle einer Stichwahl werden wir schwierige 14 Tage vor uns haben“, sagte Ogan am Wahlabend ohne Hinweis darauf, welchen Kandidaten er in einer Stichwahl unterstützen würde. Der Rechtsnationalist steht Erdogan politisch näher als dessen Herausforderer.

Die Opposition hatte zunächst den Sieg für sich beansprucht. Am Montagmittag räumte die CHP jedoch ein, dass die „etwa 300 noch nicht gezählten Urnen der Auslandsstimmen die Lage nicht mehr ändern werden“. Ein Parteisprecher versicherte, Kilicdaroglu werde „in der zweiten Runde mit Sicherheit siegen“.

Auch Erdogan zeigte sich siegessicher: „Ich glaube aufrichtig, dass wir unserem Volk auch in den nächsten fünf Jahren dienen werden“, erklärte er in der Nacht zum Montag vor jubelnden Anhängern. Erdogans islamisch-konservative AKP und ihre Bündnispartner behielten zudem ihre klare Mehrheit bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl.

Zweifel an Regierungsfähigkeit der Opposition

Die meisten Experten sind der Ansicht, dass es für Kilicdaroglu und sein Oppositionsbündnis schwierig wird, den Vorsprung Erdogans in den beiden Wochen bis zur Stichwahl aufzuholen.

In Umfragen hatte Kilicdaroglu zwei bis zehn Prozentpunkte vor Erdogan gelegen. Laut dem Türkei-Experten und Politikberater Anthony Skinner spiegelt das Wahlergebnis die Schwierigkeit wider, die öffentliche Meinung in dem polarisierten Land einzuschätzen. Die Meinungsumfragen vor den Wahlen hätten „Erdogans Einfallsreichtum und (...) die Unterstützung, die er im Land immer noch genießt“, unterschätzt.

„Die Türken haben auf Stabilität und Sicherheit gesetzt“, analysierte Bayram Balci von der Uni Ceri-Sciences Po in Paris. Die Wähler hätten Zweifel an der Regierungsfähigkeit des sehr heterogenen Oppositionsbündnisses aus sechs Parteien gehabt.

OSZE und andere Organisationen schickten Wahlbeobachter

Das Beratungsunternehmen Capital Economics warnte angesichts der Ergebnisse vor einem „sehr hohen Risiko für eine Zunahme der makroökonomischen Instabilität“ in der Türkei. Die Aussicht, dass Erdogans eigenwillige Niedrigzinspolitik anhalten könnte, ließ die Türkische Lira auf einen neuen Tiefstand sinken.

Oppositionelle hatten vor dem Urnengang vor Wahlmanipulation gewarnt und einen unfairen Wahlkampf angeprangert, bei dem die Regierung die Medien und die finanziellen Mittel kontrollierte und der Opposition kaum Sendezeit eingeräumt wurde.

Die türkische Wahlkommission hatte vorab versichert, für eine faire Wahl zu sorgen. Die Opposition und unabhängige NGOs hatten hunderttausende Wahlbeobachter gestellt, auch rund 400 Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verfolgten die Wahl.