Nach seinem Erdrutschsieg bei der Präsidentschaftswahl strebt der Oppositionskandidat Rumen Radew mehr Eigenständigkeit Bulgariens gegenüber dem Westen an. Wegen des Abtritts des konservativen Premiers Bojko Borissow steht das Land vor neuen Turbulenzen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Sofia - Die düsteren Warnungen der bulgarischen Regierung vor einem drohenden Kurswechsel des EU- und Nato-Mitglieds sind beim Wahlvolk ungehört geblieben. Bei der Stichwahl für das Präsidentenamt hat der frühere General Rumen Radew einen Erdrutschsieg errungen. Für den Kandidaten der oppositionellen Sozialisten (frühere KP) stimmten gut 59 Prozent der Wähler, teilte die Zentrale Wahlkommission am Montag mit. Die bürgerliche Regierungskandidatin Zezka Zatschewa kam auf lediglich 36 Prozent.

 

Das Debakel der Gerb-Kandidatin besiegelt das Ende der Minderheitsregierung von Premier Bojko Borissow. Der Ministerpräsident kündigte nach Zatschewas Niederlage den Rücktritt seines Mitte-Rechts-Kabinetts an – voraussichtlich an diesem Dienstag. Die beiden großen Parteien, Gerb und Sozialisten, erklärten, sie wollten auf die Bildung einer neuen Regierung verzichten. Sollte keine andere Partei eine Regierung stellen können, wird es 2017 vorgezogene Parlamentswahlen geben.

„Keine Alternative zu EU und Nato“

Der scheidende Präsident Rossen Plewnielew kündigte bereits am Wahltag Konsultationen mit seinem Nachfolger zur Ernennung einer möglichen Interimsregierung an.   Die Vereidigung des künftigen Präsidenten ist erst im Januar geplant. Sein ihm vorauseilender Ruf als Russenfreund und Nato-Kritiker scheint dem neuen Landesvater indes kaum zu behagen. Er stehe zur Nato- und EU-Mitgliedschaft, beteuert der frühere Luftwaffenchef: „Es gibt für Bulgarien keine Alternative zur EU und Nato. Aber das bedeutet nicht, dass man sich selbst außerhalb dieser Bündnisse Feinde schaffen sollte. EU-freundlich bedeutet nicht unbedingt russenfeindlich.“

Allein steht Radew mit seinem Plädoyer für pragmatische Beziehungen zu Moskau im traditionell russlandfreundlichen Balkan-Staat keineswegs.  Selbst die gescheiterte Gerb-Kandidatin Zatschewa sprach sich im Wahlkampf wie ihr Rivale dafür aus, die EU-Sanktionen gegen Russland zu „überdenken“.   Im Gegensatz zu anderen mittel- und osteuropäischen Ex-Satellitenstaaten der Sowjetunion hegen laut Umfragen 60 Prozent der Bulgaren gegenüber Russland überwiegend positive Gefühle.

Wirtschaftlich nach Russland orientiert

Es war Russland, das Bulgarien im 19. Jahrhundert von der osmanischen Fremdherrschaft befreite. Die sozialistischen Zeiten, in denen der frühere Staatschef Todor Schiwkow sein Land gar selbst als 16. Sowjetrepublik eingliedern wollte, sind in dem 2004 der Nato und 2007 der EU beigetretenen Balkanstaat zwar längst vorbei. Aber auch wirtschaftlich hegt Bulgarien zu Moskau noch immer sehr enge Bande: Der bilaterale Handel mit Russland und russische Investitionen machen laut einer US-Studie fast ein Viertel des gesamten Sozialprodukts des Landes aus.

Als Sprachrohr Moskaus will sich der auch in den USA geschulte General nicht verstanden wissen. Er sei weder ein Agent Washingtons noch Moskaus, sondern „der Agent des bulgarischen Volkes“, versichert Radew. Die Skepsis gegenüber den Russland-Sanktionen der EU machte sich der parteilose General allerdings genauso zunutze wie die Furcht vor dem Wiederaufleben der Flüchtlingskrise: Mit seinen Forderungen nach einer rigideren Flüchtlingspolitik und einer Verstärkung des Grenzzauns zur Türkei vermochte der bis vor wenigen Monaten noch weitgehend unbekannte General selbst bei Anhängern nationalistischer Parteien zu punkten.