Extremisten jeder Couleur sollen kein leichtes Spiel haben, wenn sie versuchen, Jugendliche für ihre Zwecke zu gewinnen. Ein Rollenspiel der Beratungsstelle Inside Out und der Polizei soll hier präventiv wirken.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Würde man einem gewalttätigen Ehemann ein gesundheitsgefährdendes Narkotikum spritzen, um ihn davon abzuhalten, seine Frau zu töten? Dem Kind eines Terroristen Gewalt antun, um ihm das Ziel eines Anschlags zu entlocken? Eine Gruppe Geiseln dazu bringen, einen aus ihrer Gruppe töten zu lassen, um das Leben der anderen zu retten? Vor diese Entscheidungen haben Mitarbeiter der Präventionsstelle Inside Out und Beamte des Präventionsreferats der Stuttgarter Polizei am Donnerstag bei einem Rollenspiel 17-jährige Schüler der Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule gestellt. Die Schüler sind die Pilotgruppe gewesen: Zum ersten Mal wurde das Spiel „X-Games“ im Livebetrieb angewendet, wobei das X für extrem steht. Es soll den Jugendlichen vor Augen führen, mit welchen Methoden Extremisten arbeiten, die Helfer und Unterstützer anwerben wollen.

 

Das Spielfeld ist das Schulgebäude. Der Trick der Veranstalter: Die Jugendlichen wissen nur, dass sie an einem Spiel teilnehmen, dass es ein Experiment sein soll, und dass es am Ende um 500 Euro geht. Frauen und Männer in weißen Kitteln tauchen auf, einer trägt den Geldkoffer mit Zahlenschlössern bei sich. Dann kommt die große Enttäuschung: Am Ende haben die Schüler hohe Punktzahlen erspielt und das Zahlenschloss geknackt. Das Preisgeld heimsen aber die Spielleiter ein – diejenigen, die sie dazu gebracht haben, menschenverachtende Entscheidungen zu treffen.

Die Lösungsvorschläge sind moralisch verwerflich

Mit diesem Trick wollen die Polizeibeamten und die Berater von Inside Out zeigen, was passiert, wenn man sich von „Rattenfängern“ anwerben lässt, erläutert Thomas Schneider vom Präventionsreferat: Die Profiteure machen sich die Hände nicht schmutzig und locken ihre Handlanger mit falschen Versprechen an. Die „Drecksarbeit“ erfordert es, Grenzen zu überschreiten und gegen den gesunden Menschenverstand zu handeln. Deswegen werden bei den Spielaufgaben auch nur Lösungen angeboten, die Moral und Anstand widersprechen. Nur eine der drei Gruppen, das stellt sich im Nachhinein heraus, überlegte sich Lösungswege, bei denen niemand zu Schaden kam.

Die Schüler werden in Gruppen aufgeteilt. Was die anderen nicht wissen: Die Spielleiter haben in jeder Gruppe einen Störer platziert. Auf ein Stichwort hin fängt er an, genau in die Gegenrichtung zu argumentieren, wenn sich das Team gerade einig schien. Schritt eins der Radikalisierung: Namen spielen keine Rolle mehr. Die Jugendlichen tragen uniformiert schwarze Schutzwesten, auf denen Nummern kleben. Die Spielleiter, Schauspieler und Mitarbeiter der Beratungstelle Inside Out geben den Gruppen Aufgaben. Sie setzen sie unter Druck, verteilen großzügig Bonuspunkte und loben die Jugendlichen, wenn sie sich für Lösungen entscheiden, die auf Grundrechte und Menschenrechte keine Rücksicht nehmen. Beim Schiffeversenken zuckt am Ende keiner mit der Wimper, wenn statt eines Kriegsschiffes eines mit Flüchtlingen getroffen wird.

Die Jugendlichen sind am Ende erstaunt, als sie erfahren, dass das Preisgeld nicht für sie gedacht ist, sondern für die Spielleiter. „Es war ein Experiment, wir werden dafür belohnt, dass wir Euch dazu gebracht haben, so zu spielen“, sagt der Schauspieler Alexej Boris, dessen Gruppe die meisten Punkte hat und hell entsetzt ist, dass sie nun doch nichts bekommt.

Das Thema wird im Unterricht weiter behandelt

Zum Abschluss kommt die Polizei zu Wort: Thomas Schneider klärt über die verschiedenen Formen des Extremismus auf. „Wir wollen allen Formen der Radikalisierung entgegenwirken“, erläutert Tilman Weining von Inside Out. Bewusst sei auch die Beratungsstelle so angelegt, dass nicht nur Islamismus oder Rechtsradikalismus thematisiert würden. Die Klassen würden das Thema in den kommenden Wochen im Unterricht noch vertiefen, sagte die Schulleiterin Birgit Jaeger-Gollwitzer. „Wir wollen die jungen Leute zum kritischen Denken erziehen“, betonte sie bei der Präsentation des Projekts.