Nachdem ein 15-Jähriger im Januar auf einen fahrenden Zug gesprungen ist, klärt die Polizei derzeit in Sachsenheim über die Gefahren an Gleisen auf. Denn mögliche Nachahmer haben sich bereits gemeldet.

Sachenheim - Es ist kurz nach 16 Uhr an einem Donnerstag im Januar. Langsam rollt ein Güterzug durch den Sachsenheimer Bahnhof. Wie immer stehen zu dieser Zeit viele Schüler auf den Bahnsteigen, darunter ein 15-Jähriger, der die achte Klasse der Gemeinschaftschule besucht. Plötzlich springt er auf eine kleine Leiter an dem Zug, rutscht aber ab und stürzt zwischen Waggon und Bahnsteigkante. Seine Freundin und sein Bruder müssen mit ansehen, wie der Junge viele Schürwunden am ganzen Körper erleidet – und trotzdem großes Glück dabei hatte.

 

Der Vorfall ist überall am Schulzentrum bekannt

„In der Regel kann man so etwas nicht überleben“, sagt Bianca Castan. Die Kommissarin der Bundespolizei steht vor einer sechsten Klasse der Sachsenheimer Realschule und will etwas über die „Gefahren auf Bahnanlagen“ erzählen. So jedenfalls lautet der etwas sperrige, offizielle Titel des Präventionsprojekts. Konkret geht es in der Schulstunde nicht nur um das Mitfahren auf Zügen, sondern um Handyfotos auf Bahnschienen, um die Abkürzung über die Gleise, um Graffitis an abgestellten Waggons. Themen, die für die Zwölf- und 13-Jährigen der sechsten Klasse nicht fremd sind – im Gegenteil. Viele erzählen, dass sie selbst oder Familienmitglieder entsprechende Vorfälle schon einmal erlebt haben. Fast alle sind in den sozialen Netzwerken im Internet unterwegs, erzählen von Fotos auf Instagram und Videos auf Youtube. Und fast jeder hat von dem Vorfall im Januar am Bahnhof gehört. Weil zwei Schüler zuletzt sogar Nachahmungsgedanken geäußert haben, ist Bianca Castan da.

Insgesamt zehn Klassen zwischen Stufe 5 und 8 besucht die 37-Jährige an der Realschule, auch an der Gemeinschaftsschule, die im Sachsenheimer Schulzentrum gleich nebenan liegt und der Kraichert-Förderschule hält sie ihre Stunde. „Das haben hier alle mitbekommen“, sagt die Kommissarin, die selbst in Sachsenheim lebt. Es gehe den Jugendlichen oftmals um Klicks auf Youtube, um Resonanz in den sozialen Netzwerken. Ob es deshalb mehr solcher Fälle gibt, kann Castan nicht sagen. Sie habe aber den Eindruck, dass diejenigen, die solche Absichten hegten, immer jünger würden.

Gefahr nicht nur bei fahrenden Zügen

Im Fall der beiden möglichen Nachahmer spricht die Polizistin mit den Eltern und der Schulleitung. Sie will darauf hinweisen, dass es nicht um einen leichtsinnigen Scherz geht, sondern um eine tödliche Gefahr. Diese lauert, das macht sie den Sechstklässlern deutlich, nicht nur beim Sprung auf fahrende Züge, was nach Schätzungen der Stuttgarter Bundespolizei rund zwei- bis drei Mal pro Jahr vorkommt. Auch wer auf einen stehenden Zug klettere, riskiere sein Leben: Die Oberleitungen führen 15 000 Volt Strom. Wer ihnen zu nahe kommt, kann von einem sogenannten Lichtbogen erfasst werden. Der Strom springt dann von der Leitung über.

Auch am Bahnsteig ist Vorsicht geboten. Bianca Castan warnt die Jugendlichen eindringlich, die weiße Linie auf dem Boden zu übertreten: Der Sog von durchfahrenden Zügen könnte einen mit- und in den Tod reißen. „Wenn ein Zug über einen Menschen rollt, sieht das nicht schön aus.“

Für manchen blinden Passagier endet die Fahrt tödlich

Vaihingen/Enz
: Rund 20 Kilometer dauerte die Fahrt eines 39-Jährigen im November 2015. Er klammerte sich im Stuttgarter Hauptbahnhof an eine Lokomotive, um seinen Koffer, der sich in dem Interregio-Express befand, nicht zu verlieren. Erst nahe Vaihingen/Enz stoppte der Zug, die Polizei holte den Mann ab.

Besigheim
: Ähnlich leichtsinnig war eine 24-Jährige, die im September 2015 im Besigheimer Bahnhof eine Raucherpause einlegte. Als der Zug anfuhr bemerkte die Frau, dass ihr Gepäck ohne sie auf Reisen gehen würde und hüpfte auf ein schmales Trittbrett. Ein Mitfahrer bemerkte das Manöver und zog die Notbremse – gerade rechtzeitig. Wäre die Frau weitergefahren, hätte ein entgegenkommender Zug sie „unweigerlich“ erfasst, erklärte die Polizei.

Plochingen:
Im Januar riskierten Unbekannte in Plochingen (Kreis Esslingen) ihr Leben. Sie sprangen am dortigen Bahnhof auf den Puffer zwischen zwei Waggons und fuhren in Richtung Stuttgart mit. Nach kurzer Strecke stoppte ein Schaffner den Zug, die Männer flüchteten.

Untertürkheim:
Tödlich endete ein Unfall im vergangenen September für einen 38-Jährigen. Ein Passant beobachtete, wie der Mann in Stuttgart-Untertürkheim auf einen Güterzug kletterte, der in Richtung Kornwestheim unterwegs war. In Zazenhausen wurde der Zug gestoppt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein entgegenkommender Güterzug den Mann allerdings bereits erfasst und tödlich verletzt.