Die Kassenzahnärzte sorgen sich um die Versorgung. Der Grund: In Ballungsräumen gibt es immer mehr Großpraxen mit angestellten Zahnärzten – die dann als Freiberufler in der Einzelpraxis auf dem Land fehlen.

Stuttgart - Steht die zahnmedizinische Versorgung im Südwesten vor einer Trendwende von der Einzel- hin zur Großpraxis? Die jüngste Entwicklung spricht dafür. Seit 2015 gibt es für Ärzte die Möglichkeit, arztgruppengleiche medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen. Auch Zahnärzte können solche Zentren ins Leben rufen und dort Berufskollegen als Angestellte beschäftigen.

 

Gerade für bestehende Zahnarztpraxen bieten sich bisher ungeahnte Wachstumsmöglichkeiten jenseits der Gemeinschaftspraxis, in der gleichberechtigte Ärzte als Freiberufler zusammenarbeiten. Das Angebot stößt auf große Nachfrage: 80 zahnmedizinische MVZ sind in den vergangenen vier Jahren in Baden-Württemberg aus der Taufe gehoben worden. Jedes zweite Zentrum gehört einer MVZ-Kette an.

Diese Entwicklung ruft nun die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) im Land auf den Plan. Sie warnt vor einer starken Konzentration in der zahnmedizinischen Versorgung durch die MVZ. Die Zentren sind vorzugsweise in städtischen Ballungsräumen entstanden, also beispielsweise im Großraum Stuttgart, aber auch in Mannheim, Karlsruhe und Freiburg – dort, wo sich ausreichend Kundschaft findet.

„Die großen rein zahnmedizinischen Versorgungszentren nehmen in Baden-Württemberg rasant zu. Wir befürchten, dass diese einen Staubsaugereffekt auslösen und sich somit ein beträchtlicher Teil der Versorgung weg vom ländlichen Raum in die großen Städte verlagern wird“, sagte die KZV-Vorstandsvorsitzende Ute Maier unserer Zeitung. Vor wenigen Tagen hat sie in der Sache einen Brandbrief an Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) geschrieben. Darin warnt Maier eindringlich vor den Folgen dieser „Fehlsteuerung“ im Versorgungsangebot und fordert unter anderem ein Verbot von MVZ, in denen ausschließlich Zahnärzte tätig werden.

Immer mehr Zahnärzte arbeiten als Angestellte

Die Zentren beschleunigen nach Auffassung der KZV den Trend, dass sich Zahnärzte verstärkt Anstellungsverhältnisse in Ballungsräumen suchen. So sei die Zahl der angestellten Kassenzahnärzte seit 2015 um 47 Prozent auf 1709 gestiegen. Während 2014 lediglich 15 Prozent aller Kassenzahnärzte als Angestellte tätig gewesen seien, seien es aktuell bereits 21 Prozent. Entsprechend gesunken ist laut der KZV die Bereitschaft von Nachwuchskräften, sich nach der Assistenzzeit, die im Angestelltenverhältnis absolviert wird, sofort in der eigenen Praxis niederzulassen. So hätten sich seit 2015 in der Altersgruppe bis 35 Jahre von 1030 zugelassenen Kassenzahnärzten nur 317 oder gut 30 Prozent für die Niederlassung entschieden.

Besonders viele Zahnärztinnen arbeiten demnach als Angestellte, nämlich etwa ein Drittel. Bei den unter 35-Jährigen befinden sich sogar 78 Prozent der weiblichen und 56 Prozent der männlichen Zahnärzte in einem Angestelltenverhältnis. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine große Rolle spielt die Work-Life-Balance.

KZV-Chefin Ute Maier zeigt sich besorgt. „Niemand kann in der Zahnmedizin eine Entwicklung wollen, wie wir sie in anderen gesellschaftlichen Bereichen erleben. Wie zum Beispiel beim Bäckereihandwerk, wo die großen Ketten mit ihren Filialen den lokalen Anbietern die Existenzgrundlage nehmen.“ Eine gute Versorgung könne man „gerade auch im ländlichen Raum nicht mit Zahnfabriken sicherstellen.“ Und noch etwas anderes treibt Maier um. In- und ausländische Fremdinvestoren zeigten zunehmend Interesse an MVZ als „lukrative Geldanlage“. Damit drohe die Gefahr, dass künftig die „Gewinnmaximierung der freien Therapieentscheidung des Zahnarztes vorgezogen wird“.