Kinder in Sozialunterkünften fehlen oft in der Schule, denn sie werden gebraucht: als Übersetzer und Behördenbegleiter. Die Stadt will das nicht auf sich beruhen lassen und erprobt nun ein Jahr lang den Einsatz von Sozialarbeitern und der Mobilen Jugendarbeit im Tandem.

Stuttgart - Der Junge, nennen wir ihn Adrian, ist acht Jahre alt und lebt mit seiner Familie in einer Sozialunterkunft. Ein Zimmer, Küche, Bad für acht Personen. „Es gibt Menschen in Stuttgart, deren Elend zum Himmel schreit“, sagt Klausjürgen Mauch von der Mobilen Jugendarbeit. Osteuropäer, von Abschiebung oder Obdachlosigkeit bedrohte Familien, Flüchtlinge, Analphabeten gehörten dazu. Und viele Kinder, die hier zum ersten Mal eine Schule besuchen. Die Bewohner haben keinen Anspruch auf eine Fürsorgeunterkunft und leben deswegen in Pensionen und Hotels, die von der Stadt angemietet worden sind. Bisher hatten sie keinen Zugang zum Hilfesystem, jetzt erprobt die Stadt ein Jahr lang die aufsuchende Sozialarbeit in Adrians Stadtbezirk Ost. Der Verwaltungsausschuss hat die Finanzierung bewilligt.

 

Völlig auf sich gestellte Familien

Adrian ist einer der 41 Kinder und Jugendlichen, die mit ihren 17 Familien in Sozialunterkünften im Stuttgarter Osten untergebracht sind. Ihr Aufwachsen verläuft nicht nur in beengten Verhältnissen, sondern auch in einer existenziellen Notlage, mit einer ungewissen Zukunft und unter riskanten Einflussfaktoren, konstatiert das Referat für Jugend und Bildung. „Den schwersten Stand in der Stadt haben diese Kinder“, sagt Kornelius Knapp, der Abteilungsleiter Stuttgarter Bildungspartnerschaft. In den Sozialunterkünften, ob Einzelwohnung oder Zimmer in einer angemieteten Pension, „gibt es keinen Träger, der ansprechbar wäre für die Eltern oder die Kinder, die sind in einer singulären Situation, völlig auf sich gestellt“.

Kinder ohne Schulerfahrung

Die Kinder geraten dadurch in eine Abwärtsspirale: Eltern können nicht ergänzend zur Schule helfen, Lern- und Arbeitsmöglichkeiten in der Unterkunft fehlen, und selbst der regelmäßige Schulbesuch ist nicht selbstverständlich. „Unsere Schulsozialarbeiterin ist auf katastrophale Lebensumstände aufmerksam geworden, als sie Kinder daheim aufgesucht hat“, erzählt Klausjürgen Mauch.

„Gleich beim ersten Besuch sind die Bewohner auf sie eingestürmt und haben um Hilfe oder Unterstützung in vielen Alltagsdingen gebeten.“ Oftmals würden Kinder und Jugendliche Aufgaben in der Familie übernehmen, schildert die Sozialverwaltung: Sie begleiten Eltern zum Übersetzen zu Ärzten und Behörden, passen auf jüngere Geschwister auf oder schmeißen den Haushalt. Während jüngere Kinder sehr gern in die Schule kämen und Interesse am Lernen hätten, sei der regelmäßige Schulbesuch bei den älteren, die nie eine Schule besucht haben oder nicht alphabetisiert sind, stark gefährdet.

Fachleute im Einsatz für Erwachsene und Kinder

„Für eine gute Integration von Eltern und Kindern brauchen wir Tandems“, sagt Kornelius Knapp: eine Sozialarbeiterin, ein Sozialarbeiter für die Eltern und eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter der Mobilen Jugendarbeit für die Kinder. Die Erstkontakte aus den Vorbereitungsklassen gibt es, darauf aufbauend soll das Tandem die Familien aufsuchen, sie aber auch zu offenen Angeboten einladen und dazu, mit Beratungszentren, der Wohnungsnotfallhilfe, den Schulen, den Jugendhäusern oder Elternbildungslotsen zu kooperieren. Langfristig sollten die Familien die bestehenden Hilfen kennen und in der Lage sein, sie zu nutzen.

Modell für ein Jahr

Als Tandem kommen Mitarbeiter der Mobilen Jugendarbeit der Evangelischen Gesellschaft und des Sozialträgers St. Josef zusammen, ausgestattet mit jeweils einer halben Stelle. Das Pilotprojekt soll zum nächsten Schuljahr starten, ist auf ein Jahr befristet und wird von der Stadt mit 80 000 Euro finanziert. Viele Sachmittel wie Lebensmittelgutscheine und Laptops für die Schüler sind mit Spendengeldern angeschafft worden. „Wir sind wirklich sehr glücklich über diesen Beschluss“, sagt Klausjürgen Mauch. Seine Hoffnung wäre freilich eine dauerhafte Lösung, auch für die anderen Sozialunterkünfte.