Vom Naturbild bis zum Pandämonium: "Fausts Verdammnis" von Hector Berlioz bietet eine prächtige Vorlage für die Regisseurin Andrea Moses.

Stuttgart - Großer Auftrieb in Stuttgart: Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Frau, Abordnungen umliegender Theater und Klaus Zehelein, von 1991 bis 2006 Chef am Haus, der in den vergangenen fünf Jahren selten einmal vorbeigeschaut hatte, wollten bei der ersten Premiere an der Staatsoper unter neuer Leitung dabei sein.

Es wurde dringend Zeit, Druck aus dem Kessel der Erwartungen zu lassen. Der Intendanten-Regisseur Jossi Wieler überließ der Chefregisseurin Andrea Moses die Bühne für „La Damnation de Faust“ von Hector Berlioz. Oper heranholen an die Menschen – das ist das erklärte Ziel der 39-jährigen Regisseurin. Und wenn das wie bei ihrer ersten Stuttgarter Arbeit jetzt mit starken Bilderwelten, markanten szenischen Arrangements versucht wird, dann ist Moses das mit Sicherheit gelungen (Bühne und Kostüme: Christian Wiehle).

 

Moses will zuviel nebenbei mit erledigen

Doch was sie da erzählt, die Faust-Legende, die bei Berlioz nur noch entfernt an Goethes wissensdurstigen Welthungrigen erinnert, erfährt durch die Regie keine plausible Fassung. Zuviel will Moses nebenbei noch mit erledigen: Katholizismus-Kritik und Warnung vor dem alltäglichen inneren und äußeren Faschismus mitten in Europa.

Sie schaut nach Ungarn und sieht paramilitärische Garden, sieht Intoleranz und Gewalt. Zu Berlioz’ berühmtem Rákóczi-Marsch wirbeln die Schlagstöcke – doch das wirkt weniger hart an die politische Gegenwart geschnitten als es klingt, dazu sitzen die Uniformen zu proper und ist das Blut zu liebevoll aufgeschminkt. Das ist schlicht gesagt alles zu wenig dreckig und drastisch, um zu packen. Rasch versendet sich die politische Korrektheit.

Dürftiges musikalisches Niveau

Erschütternd dürftig das musikalische Niveau des Abends unter der Leitung von Kwamé Ryan. Wie so oft bei Premieren lassen sich aber der Stuttgarter Chor und das Orchester nicht vorführen, bieten das äußerste, was unter diesen Bedingungen möglich ist. Doch Ryan fehlt jeglicher Sinn für das Idiom der französischen Musik, den trockenen Witz, die sinistren Farben, das Parfum; außerdem war handwerklich vieles nicht sauber gearbeitet.

Die Koordination zwischen Orchestergraben und Bühne beispielsweise ließ immer wieder zu wünschen übrig.

Sängersolisten machen wenig Freude

Auch die vier Sängersolisten machten wenig Freude, so intensiv sie sich der Bühne auslieferten, den Charakteren darstellerisch Leben einhauchten. Maria Riccarda Wesseling als Marguerite hatte Probleme mit der Höhe, Robert Hayward bot wenig mehr als einen grauen, abgesungen klingenden Bassbariton für den Méphistophélès und Mark Munkittrick verschenkte als Brander das Lied von der Ratte. Pavel Černochs Faust fand dagegen manche Phrasierung, die in die richtige Richtung weist, geschickte setzte er die Kopfstimme für das hohe Cis in „Ange adoré“ ein.

Das Publikum war in gnädiger Feierstimmung, in den lang anhaltenden Applaus mischte sich am Ende, als Andrea Moses und ihre Mitarbeiter sich zeigten, nur zaghafter Widerspruch.