Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Selbstverständlich interessiert sich die Deutung von Wieler und Morabito keine Sekunde für das Dekor und den falschen selbstreferentiellen Pomp in Tschaikowskis Libretto. Wir sind hier, in den abblätternden Hinterhöfen und winkligen Treppenmysterien, die Anna Viebrock als Postsowjetwelt entworfen hat, stattdessen in einem zeitlichen (N)Irgendwo zwischen Dostojewski und heute, und selbst die Fürstentöchter gehen reihenweise auf den Strich: wer sich nicht prostituiert, verspielt oder versäuft sein Geld. Die Gräfin (sehr jugendlich bei Stimme: Helene Schneiderman) schiebt ihren Sprit im Discounter-Einkaufswagen durch die Gegend, immer ein französisch gehauchtes „Früher war alles besser“ auf den Lippen.

 

Von Hermann, hier originalsprachlich verschoben: German (der Kalifornier Erin Caves, ein ganz kleines bisschen flackrig), ist in dieser Konstellation von Anfang an nicht viel zu erwarten. Er trägt ein Sweat-Shirt mit dem Konterfei Peters, des Großen. Seltsames Role Model: ein Mann, der Russland via St. Petersburg zwar zur Welt öffnete, aber im Rausch auch gerne seinen Untertanen höchstselbst die Köpfe abschlug. Was German an blutiger Prügel einsteckt, teilt er als unstillbaren Trieb wieder aus: Zugang zu Lisas Körper indes kann er sich nur mit Hilfe eines ihr an den Hals gesetzten und dann abwärts kreisenden Teppichmessers verschaffen, eine sadistische Szene, an der die Regie sehr viel – zu viel! - Freude hat.

Ein relatives Raumwunder

Bezeichnenderweise geraten Wieler und Morabito die retrospektiven Niedlichkeiten (Schäferspiel, Ballszene) fast ein wenig volkstümlich, was den sprachlich und vokal von Johannes Knecht hervorragend präparierten Staatopernchor und Kinderchor jedoch nur marginal an Authentizität kostet. Aber das kann auch Absicht sein. Im schroffen Gegensatz dazu jedenfalls entstehen (und sie entstehen wirklich durch Lichtwechsel und ein relatives Raumwunder nach dem anderen) Milieustudien, die dann wieder ihresgleichen suchen: German in flackerndem Abendschein allein auf der Treppe wird dann zum lebendigen Beweis der (romantischen) These, dass es eine Konversion von Angst in Lust gibt: die alte Gräfin, halb umnachtet, greift ihn sich wie ehedem den Lover Saint Germain. Atmosphärisch ist das so gut gemacht wie die Darstellung der wachsenden Obsession der von Rebecca von Lipinski hervorragend gespielten Lisa, die einen irrationalen Tod zu sterben bereit ist für einen Mann, von dem sie nichts weiß, weil er selber von sich nichts wissen will: er ist, buchstäblich, der Mann ohne Eigenschaften.

Bis zu Germans arrangiertem Tod im ehemaligen häuslichen Windfang der Gräfin (die Gräfin und Lisa sind Untote), der hier surreal als Trambahn durch die Gegend fährt, arbeitet die sonst in der Regel bühnentechnisch messerscharf argumentierende Regie mit einem gewissen Wohlgefallen daran, die Realien wie in einem LSD-Rausch dissoziieren zu lassen, um nochmal Sergio Morabito zu zitieren. Mit anderen Worten: sie genießt schon auch, dass sie mancher Wahnvorstellung gar nicht erst eine Grundlage, geschweige denn eine Legitimation liefern muss. Wielers und Morabitos Interpretation zum Ende einer Spielzeit, die sich das Spielen als solches besonders vorgenommen hatte, ist also auch eine Selbstfeier des Theaters als ver-rückte Anstalt: eine Spur daneben.

In den vor allem im kammermusikalischen Detail vom Dirigenten Sylvain Cambreling und dem Stuttgarter Staatsorchester oft wunderbar ausmusizierten Momenten gibt es herausragende Sänger wie Vladislav Sulimsky als Tomski, die präsente Stine Marie Fischer als Polina und die skurrile Gouvernante von Maria Theresa Ullrich. Aber auch sie geraten unter Druck, wenn Tschaikowski sich an den perkussiven Momenten und gesamtorchestralen Wallungen weidet – und Cambreling, ein wenig zu willfährig, sich mit ihm. Dass der Klang es mitunter schwer hat, liegt auch am Bühnenbild, dass ja nur als Fragment besteht, bestehen muss, großartig besteht. Es ist, wie manches an dieser Stuttgarter „Pique Dame“ nur ein Spuk und eine Chimäre. Kulisse halt, Theatertheater. Am Ende: mehr als angenommen.

Selbstverständlich interessiert sich die Deutung von Wieler und Morabito keine Sekunde für das Dekor und den falschen selbstreferentiellen Pomp in Tschaikowskis Libretto. Wir sind hier, in den abblätternden Hinterhöfen und winkligen Treppenmysterien, die Anna Viebrock als Postsowjetwelt entworfen hat, stattdessen in einem zeitlichen (N)Irgendwo zwischen Dostojewski und heute, und selbst die Fürstentöchter gehen reihenweise auf den Strich: wer sich nicht prostituiert, verspielt oder versäuft sein Geld. Die Gräfin (sehr jugendlich bei Stimme: Helene Schneiderman) schiebt ihren Sprit im Discounter-Einkaufswagen durch die Gegend, immer ein französisch gehauchtes „Früher war alles besser“ auf den Lippen.

Von Hermann, hier originalsprachlich verschoben: German (der Kalifornier Erin Caves, ein ganz kleines bisschen flackrig), ist in dieser Konstellation von Anfang an nicht viel zu erwarten. Er trägt ein Sweat-Shirt mit dem Konterfei Peters, des Großen. Seltsames Role Model: ein Mann, der Russland via St. Petersburg zwar zur Welt öffnete, aber im Rausch auch gerne seinen Untertanen höchstselbst die Köpfe abschlug. Was German an blutiger Prügel einsteckt, teilt er als unstillbaren Trieb wieder aus: Zugang zu Lisas Körper indes kann er sich nur mit Hilfe eines ihr an den Hals gesetzten und dann abwärts kreisenden Teppichmessers verschaffen, eine sadistische Szene, an der die Regie sehr viel – zu viel! - Freude hat.

Ein relatives Raumwunder

Bezeichnenderweise geraten Wieler und Morabito die retrospektiven Niedlichkeiten (Schäferspiel, Ballszene) fast ein wenig volkstümlich, was den sprachlich und vokal von Johannes Knecht hervorragend präparierten Staatopernchor und Kinderchor jedoch nur marginal an Authentizität kostet. Aber das kann auch Absicht sein. Im schroffen Gegensatz dazu jedenfalls entstehen (und sie entstehen wirklich durch Lichtwechsel und ein relatives Raumwunder nach dem anderen) Milieustudien, die dann wieder ihresgleichen suchen: German in flackerndem Abendschein allein auf der Treppe wird dann zum lebendigen Beweis der (romantischen) These, dass es eine Konversion von Angst in Lust gibt: die alte Gräfin, halb umnachtet, greift ihn sich wie ehedem den Lover Saint Germain. Atmosphärisch ist das so gut gemacht wie die Darstellung der wachsenden Obsession der von Rebecca von Lipinski hervorragend gespielten Lisa, die einen irrationalen Tod zu sterben bereit ist für einen Mann, von dem sie nichts weiß, weil er selber von sich nichts wissen will: er ist, buchstäblich, der Mann ohne Eigenschaften.

Bis zu Germans arrangiertem Tod im ehemaligen häuslichen Windfang der Gräfin (die Gräfin und Lisa sind Untote), der hier surreal als Trambahn durch die Gegend fährt, arbeitet die sonst in der Regel bühnentechnisch messerscharf argumentierende Regie mit einem gewissen Wohlgefallen daran, die Realien wie in einem LSD-Rausch dissoziieren zu lassen, um nochmal Sergio Morabito zu zitieren. Mit anderen Worten: sie genießt schon auch, dass sie mancher Wahnvorstellung gar nicht erst eine Grundlage, geschweige denn eine Legitimation liefern muss. Wielers und Morabitos Interpretation zum Ende einer Spielzeit, die sich das Spielen als solches besonders vorgenommen hatte, ist also auch eine Selbstfeier des Theaters als ver-rückte Anstalt: eine Spur daneben.

In den vor allem im kammermusikalischen Detail vom Dirigenten Sylvain Cambreling und dem Stuttgarter Staatsorchester oft wunderbar ausmusizierten Momenten gibt es herausragende Sänger wie Vladislav Sulimsky als Tomski, die präsente Stine Marie Fischer als Polina und die skurrile Gouvernante von Maria Theresa Ullrich. Aber auch sie geraten unter Druck, wenn Tschaikowski sich an den perkussiven Momenten und gesamtorchestralen Wallungen weidet – und Cambreling, ein wenig zu willfährig, sich mit ihm. Dass der Klang es mitunter schwer hat, liegt auch am Bühnenbild, dass ja nur als Fragment besteht, bestehen muss, großartig besteht. Es ist, wie manches an dieser Stuttgarter „Pique Dame“ nur ein Spuk und eine Chimäre. Kulisse halt, Theatertheater. Am Ende: mehr als angenommen.