Wundersame Verwandlung: Eva Mario Hasler pustet einen Daunenschneesturm im Auflaufglas. Foto: Matthias Baus
In der Stuttgarter Jungen Oper macht „Guten Morgen, Schnee!“ aus Erinnerungen und Erwartungen eine kleine, feine Performance fürs kleinste Publikum ab drei oder noch weniger Jahren.
Martin Mezger
11.10.2025 - 21:15 Uhr
Gibt’s eigentlich noch Schnee? Na klar, in rauen Mengen. Sogar zum Frühstück. Ganz normal in der kühlen Berggegend, trotz Klimawandel. In hiesigen Gefilden macht er sich rar, der weiße Zuckerguss, der die Welt verzaubert. Nur in den Köpfen ist er konserviert wie in der Tiefkühltruhe: als Erinnerung und Erwartung, alle Jahre wieder.
Von Erinnerung und Erwartung lebt das Leben – und das Theater. Also weckt Martin Mutschler in seinem Stück „Guten Morgen, Schnee!“ die eine wie die andere. „Wenn ihr Glück habt, wird es am Ende schneien“, gibt er dem sehr jungen Publikum (ab drei Jahren, geht aber auch schon jünger) spannungssteigernd auf den Weg.
Die kleinen Kinder, die mit ihren Mamis und einem Papi zur Premiere der Stuttgarter Jungen Oper (JOiN) ins Nord kamen, kennen Schnee vielleicht nur aus Erzählungen. Aber Schneemannbauen und Schlittenfahren sind nach wie vor Klassiker, wie eine Umfrage im Publikum ergab. Zumindest in der Phantasie. Kein Wunder also, dass Schneewunder an einen Traum grenzen.
Schneewunder an der Traumgrenze
Genau so spielt die Figurentheaterkünstlerin Eva Mario Hasler, was der Stücktitel sagt: verträumtes Aufwachen, bei dem Kissen, Decken und Geborgenheit zur Schneelandschaft werden. Obwohl das Stück keine Märchen erzählt, könnte es „Schneeweißchen und Federleicht“ heißen mit seinem flockigen Spiel oder den zum Schneesturm im Auflaufglas hochgepusteten Kissenfedern.
Vergnügliches Tongestöber
Ein Stück im gewohnten Sinn ist es freilich nicht, eher eine 35 Minuten kleine, feine Performance aus Objekttheater und Konzert. Mutschler, neben Keith Bernard Stonum Leiter des JOiN, firmiert als Regisseur. Doris Erdmann streicht das Cello, Frank Bunselmeyer bläst die Klarinette. Die beiden Staatsorchestralen machen das Schnee- zu einem Tongestöber der vergnüglichsten Art: mit Miniaturen von Joseph Dall’Abaco bis Hindemith und Strawinsky, stets stimmig auf die jeweilige Stimmung gepolt.
Doris Erdmann (links) am Cello und Frank Bunselmeyer an der Klarinette mit Figurentheaterspielerin Eva Mario Hasler. Foto: Matthias Baus
Hasler tanzt auf dem Paradekissen wie auf einer Riesenschneeflocke, lässt sie im Raum schweben mit Assoziationen vom Kristall bis zur Abrissbirne, bringt perspektivische Vielfalt ins Spiel: hebräische, brasilianische, ukrainische Stimmen, für die Schnee etwas Alltägliches oder völlig Unbekanntes ist. Oder überflüssig: „Kein Mensch braucht Schnee“, nölt es auf Deutsch. Vielleicht ist ja Schnee vor allem eine leere, weiße Fläche, in die sich Spuren aller möglichen Empfindungen ziehen lassen. Bis er schmilzt.
Die nächsten Vorstellungen: 17. und 29. November, 17. und 20. Dezember.