Das Jes macht sich in der neuen Produktion „Wir so: Welt retten“ an die großen Glaubensfragen – und greift dabei zu Rap-Einlagen, Spezialeffekten und viel Witz. Was lernen Kinder ab zehn? Dass Nachdenken auch unterhaltsam sein kann.

Stuttgart - Sie sind als Pappkameraden auf der Bühne versammelt, die Superhelden und Weltretter der Geschichte und der Gegenwart: Yoda und Prinzessin Leila aus „Star Wars“ stehen neben Superman, Jesus, Buddha und Batman. Dazwischen streiten sich Titus, Aaron, Ruth und Emmanuel, wer denn jetzt Moses spielen darf. Den Auszug aus Ägypten, die Verfolgung durch die Truppen des Pharao und den Gang durch das Meer, das sich teilt, das stellen die vier Freunde sehr gerne nach. Sind eben so geile Special Effects dabei in dieser Geschichte, die sie vom Rabbi gehört haben. Und tatsächlich wabert auf der Bühne die Nebelmaschine und setzt musikalisch das ganz große Drama ein, wenn das Wasser in der Fantasie zur Mauer wird.

 

Welten ineinanderfügen, zwischen den Zeiten hin- und hier springen, dafür ist das Theater da. „Wir so: Welt retten“, die neue Produktion des Jungen Ensemble Stuttgart, kurz Jes, hastet in einem wilden Panoptikum durch die Jahrtausende. Das gibt es eine Poolparty mit Rap-Einlagen und dann wieder die Lehrstunden eines Rabbi; die Klimakrise wird genauso verhandelt wie das Aufbegehren der Juden gegen die römischen Besatzer vor 2000 Jahren und die Verheißung des Jesaja. Es geht um Glaube, Hoffnung und Weltenrettung. Dabei treten auf: Maria, die auf einem integrierten Sockel durch die Szenerie wandelt, ganz in Weiß und mit einem Strahlenkranz aus Trinkhalmen auf dem Kopf. Und ihr Sohn Emmanuel, der Auserwählte, der in prolliger Rapper-Manier auf Wunderkräfte hofft und sehr enttäuscht ist, dass Gott ihm nie antwortet.

Gibt es Gott?

Die großartige Sibel Polat spielt diesen Emmanuel als wilden Derwisch, energiegeladen, größenwahnsinnig, mitreißend. Er solle doch lieber den Besen nehmen und die Hütte fegen, es sei doch auch ein Wunder, wenn der Dreck dann weg ist, sagt Maria nur (bestechend cool: Laura-Sophie Warachewicz). Wie das Mütter tun, wenn sie ein bisschen Luft rausnehmen wollen. Der Auserwählte ist halt auch nur ein Mensch.

Genau das ist der Punkt, um den die Glaubensfragen kreisen, an denen sich der Autor Thilo Reffert in dem eigens für das Jes geschriebenen Stück abarbeitet. Sind die Wunderhelden und Weltenretter, wie sie in den biblischen Geschichten beschworen werden, gar keine Übermenschen? Sind die zehn Gebote vielleicht doch nicht Gottes Wort, sondern nur Regeln, die sich Menschen gegeben haben – und das elfte müsste jetzt lauten: Du sollst nicht so viel Müll produzieren? Ist die Teilung des Roten Meers nicht mehr als ein Spezialeffekt, der aber gar nicht wichtig ist – weil der Kern des Wunders doch darin liegt, dass seine Leute dem Menschen Moses vertraut haben und ihm gefolgt sind? Gibt es Gott? Ganz große Fragen also für ein Publikum ab zehn Jahren.

Es wird respektlos gewitzelt

Die Inszenierung von Sascha Flocken tut viel dafür, auch bei den stillen Momenten bloß kein Pathos aufkommen zu lassen. Das Tempo bei den Szenenwechseln ist rasant, das vierköpfige Ensemble läuft auf Hochtouren und mit vollem Körpereinsatz, wenn etwa Superkräfte pantomimisch an den Superhelden abprallen. Es wird laufend und wunderbar respektlos gewitzelt – als etwa Immanuel eine Flasche Sprudel verschüttet, drüber läuft, und seine aufgeregten Freunde begeistert jubeln: „Er läuft übers Wasser!“.

„Ein Kinderspiel“ ist das Szenenmosaik von „Wir so: Welt retten“ untertitelt. Von wegen. Aber dass Autor, Regisseur und das Ensemble eben keine Weltuntergangsstimmung verbreiten und den ganz großen Fragen mit Spielfreude, Witz und Querdenkerei begegnen, macht das Nachdenken darüber sehr unterhaltsam.