30 Jahre nach der Premiere von „Die barmherzigen Leut’ von Martinsried“ findet das Heimatstück in einer Neuinszenierung von Marcus Grube den Weg zurück auf die Württembergischen Landesbühne. Friedrich Schirmer löst damit ein Versprechen ein.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Esslingen - Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. In den Wirren der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs sind vier Viehwägen gefüllt mit rund 300 KZ-Häftlingen im Ilshofener Ortsteil Eckartshausen im Hohenlohischen gestrandet. Zwar haben die Bewohner des Orts die Häftlinge, deren Schreie weithin zu hören waren, nach anfänglichem Zögern mit Essen versorgt – doch dann in einer gemeinsamen nächtlichen Aktion die Wagen auf eine abschüssige Strecke geschoben und die Häftlinge ihrem Schicksal überlassen. Was aus ihnen geworden ist, ist nicht überliefert.

 

Der renommierte Regisseur und Autor Oliver Storz (1929 bis 2011) war mit der Idee, aus dieser Geschichte einen Film zu machen, zunächst beim SWR abgeblitzt – und hatte auf Vorschlag des damaligen Intendanten der Württembergischen Landesbühne, Friedrich Schirmer, zunächst das Heimatstück „Die barmherzigen Leut’ von Martinsried“ geschrieben. Am 22. Februar 1989 feierte das Stück in der Regie von Roland Gall in Esslingen seine Premiere.

„Der Sheriff von Linsenbach“ ist ein Erfolgsstück der WLB

Ziemlich genau 30 Jahre später ist Friedrich Schirmer wieder Intendant der WLB – und das Stück findet am Donnerstag 14. März den Weg zurück auf die Bühne. Die Regie hat der WLB-Mitintendant Marcus Grube übernommen. Damit löst Schirmer ein Versprechen ein, das er einst Oliver Storz gegeben hatte, das er aber wegen seines überraschenden Wechsels nach Freiburg damals nicht mehr einlösen konnte. Denn er hatte Oliver Storz versprochen, sowohl „Die barmherzigen Leut“ als auch dessen Komödie „Der Sheriff von Linsenbach“ an der WLB zu zeigen.

„Der Sheriff von Linsenbach“ erlebte seine überaus erfolgreiche Premiere in der Spielzeit 2015/2016 und wird nach wie vor oft von den Gastspielorten gebucht. Jetzt, 30 Jahre, danach, gibt es also das Oliver-Storz-Doppelpaket an der WLB.

Dabei ist Marcus Grube fest davon überzeugt, dass „Die barmherzigen Leut’ von Martinsried“ heute noch viel besser in die Zeit passen als 1989: „Damals hat es doch noch niemand für möglich gehalten, dass die Anerkennung des Holocaust keine Selbstverständlichkeit mehr ist“, sagt Grube und stellt eine Verbindung zur aktuellen Gedenkfeier für einen Neonazi im Chemnitzer Stadion her: „Das wäre 1989 nicht möglich gewesen, und deshalb liegt uns das Thema so sehr am Herzen.“

Wahre Geschichte, fiktive Personen, fiktive Handlung

Oliver Storz hat aus der geschichtlichen Vorlage ein Theaterstück mit fiktiven Personen und ebenso fiktiver Handlung gemacht. Im Mittelpunkt steht die junge Anna (Nathalie Imboden), eigentlich eine glühende Hitler-Verehrerin, die ein gewisses Mitgefühl mit den Gefangenen entwickelt und gegen die Angst, die Feigheit und das Obrigkeitsdenken in den letzten Kriegstagen ankämpft. Gestoppt wird sie letztlich durch ihren Freund, den Infanterieoberleutnant Felix Jeiter (Michael Wöhr).

In einer zweiten Zeitebene, angesiedelt irgendwann in den 1980-er Jahren, reflektiert die gealterte Anna (Gesine Hannemann) als einzige Überlebende, über die damaligen Ereignisse. Für diese zweite Erzählebene treten die Schauspieler aus ihren Rollen, um das Geschehene zu kommentieren. Damit unterscheidet sich das Theaterstück fundamental vom Film „Drei Tage im April“, den der SWR nach der erfolgreichen Bühnenfassung bei Oliver Storz doch noch in Auftrag gab und der 1995 das erste Mal ausgestrahlt wurde.

Die Premiere ist am Donnerstag, 14. März, um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Weitere Aufführungen in Esslingen folgen am 20. März, 5. April, 10., 21. und 24. Mai.