Mit 66 Jahren ist noch lang nicht Schluss! Als „abgefahrene Rentnerin“ wurde Margot Flügel-Anhalt zum Medienstar. Im Cinema in Stuttgart stellt sie ihren neuen Film vor.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Eine Mutter und Großmutter will raus! Immer nur mit dem Enkel spielen, füllt Margot Flügel-Anhalt nicht aus. Das Fernweh der früheren Sozialarbeiterin wird immer stärker, je älter sie wird. Viele Abiturienten belohnen sich mit einer langen Reise, wenn die Prüfung rum ist. Die „abgefahrene Rentnerin“, wie die „Spiegel“-Bestsellerautorin über sich lesen kann, hat für den Aufbruch in fremde Welten auf das Ende ihrer beruflichen Tätigkeit gewartet. In Pakistan kann ein junger Kerl kaum glauben, dass eine ältere Frau mutterseelenallein im Mercedes Tausende von Kilometern runterreißt. Um Fotos ihrer Familie bittet er. Die Globetrotterin hat nicht mal auf dem Handy welche. Ihre Lieben treiben sie im Herzen an.

 

„Ich wollte erfahren, dass die Menschen gut sind“

Margot Flügel-Anhalt genießt die Einsamkeit, um nicht nur fremde Kulturen kennenzulernen, sondern vor allem sich selbst. Warum sie zwei Weltreisen – die erste mit dem Motorrad, die zweite im 24 Jahre alten Benz – ganz ohne Begleitung unternommen hat? Ihre Antwort lautet: „Ich wollte erfahren, dass die Menschen gut sind!“

Ihr Glauben an das Gute ist in der Ferne nie enttäuscht worden, wie die Tuttlingerin auf dem Balkon des Cinema sagt. Der Blick auf den Schlossplatz ist vom obersten Stock des Marquardt großartig. Die Sonne scheint, die Autorin lacht. „Auf der ganzen Welt bin ich gut durchgekommen“, sagt sie und lacht wieder, „nur im Stau von Stuttgart dachte ich, es geht nicht mehr voran.“

SWR-Fernsehen zeigt den Film am 8. September um 20.15 Uhr

Dieses Lachen kommt aus ihrem tiefsten Inneren und setzt wohl eine Überdosis an Glückshormonen frei. Muss gut sein, noch älter zu werden, denkt der Journalist beim Balkoninterview. Diese Powerfrau lebt vor, dass in einer späten Lebensphase was schönes Neues beginnen kann – sofern man mutig genug ist, dem Überraschenden eine Chance zu geben, sofern man alle Bedenken abstreift. Und wie sie jubeln kann, wenn eine Grenze überwunden, ein Problem gelöst ist!

Wer im Kinosessel für den Film „Einfach abgefahren“ (läuft am 8. September, 20.15 Uhr, im SWR-Fernsehen) versinkt, wird rasch zum Beifahrer, lässt sich in den Farbenrausch atemberaubender Landschaften reinziehen, spürt die Vibrationen der Fremde am eigenen Körper. Ach, was sind das für tolle Aufnahmen! In was für Augen blicken wir bei berührenden Begegnungen! Und in der Türkei wuseln Straßenhunde so schön herum, dass man am liebsten einen mitnehmen will!

Pure Lebensfreude auf zwei Beinen und vier Rädern

Die Deutsche, die pure Lebensfreude auf zwei Beinen und vier Rädern ist, wird gastfreundlich empfangen auf ihrer 18 000 Kilometer und 83 Tage langen Reise, die über Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Griechenland, Türkei, Iran, Pakistan, Indien, Myanmar und Thailand bis nach Laos führt. Das Timing ist perfekt. Kurz vor der Coronapandemie im Januar 2020 erreicht sie ihr Ziel. Seitdem ist Margot Flügel-Anhalt als Gast in Talkshows begehrt. Ab und zu kamen die Filmemacher Paul Hartmann und Johannes Meier angeflogen, um großes Kino aufzunehmen, unter anderem mit Drohnen. „Ich war immer froh, wenn sie wieder fort waren“, flüstert sie auf dem Cinema-Balkon.

Ihr Freiheitsdrang, alles allein zu schaffen, ist größer als jede Entfernung! Pannen stoppen sie nicht. In Indien riss durch Schlamm und Schlaglöcher der schlechten Straßen der Bremszylinder, aber sie fand einen Monteur, der ihr half. In Pakistan war die Angst groß, Opfer eines Taliban-Anschlags zu werden – Polizisten eskortierten sie. Nur einmal wurde die Alleinreisende überfallen. Sie beherrscht die Kampfkunst Wingtsun und schlug die Täter in die Flucht. Im Sommer 2022 will die dann 68-Jährige im alten Lada Niva auf dem Karakorum Highway von China nach Pakistan brettern.

„Warum vergessen wir so schnell, wie einmalig das Leben ist?“

Die Ferne zieht sie an, um daheim bei Vorträgen zu fragen: „Warum vergessen wir so schnell, wie einmalig das Leben ist und voll des Zaubers?“ In der Heimat wird Margot Flügel-Anhalt nach ihren Reisen zur noch schärferen Kämpferin gegen Fremdenhass.