Der erste neue Triebwagen der Zacke ist in Betrieb. Für die Premierenfahrt in Stuttgart haben sich viele Bahnfans versammelt. Doch was passiert mit den ausgemusterten Zahnradbahnen?

Norddeutsche tun sich im Südwesten bekanntlich manchmal mit der Sprache schwer. Aber das Wort Zacke lässt sich eigentlich auch in Hochnorddeutsch problemlos aussprechen. Wenn die Hanseatin auf Besuch in Stuttgart dann trotzdem „Zackenbahn” sagt, lässt das ihr dichtgedrängtes Umfeld bei der Premierenfahrt im nagelneuen Zacke-Triebwagen 1102 zumindest innerlich zusammenzucken. Aber gastfreundliche Schwaben schweigen großzügig darüber hinweg - und SSB-Vorstand Thomas Moser erklärt weiter geduldig und mit Begeisterung die Vorzüge der neuen Zacke-Wagen.

 

Als der mit einer Blumengirlande geschmückte Triebwagen 1102 mit dem Fahrradwagen 1111 am Samstagmittag am Marienplatz ankam, fragte sich so mancher der durchaus zahlreichen Schaulustigen und Bahnfans beim ersten unbedarften Blick: Was ist da jetzt anders? Beim zweiten Blick, beim zweiten Hinhören und vor allem bei der ersten Fahrt hinauf nach Degerloch und wieder hinunter in den Talkessel machen sich die Unterschiede zum 40 Jahre alten und jetzt ins SSB-Museum in den Ruhestand geschickten Triebwagen namens Helene aber bemerkbar.

Fahrradwagen ist jetzt doppelt so groß

Als da wären: Es gibt keine Stufen mehr, der Wagen ist klimatisiert und tauscht die Luft in etwa alle vier Minuten aus, es gibt einen Rollstuhlplatz, die Fenster und damit das Panorama sind noch etwas größer. Der Fahrradwagen ist jetzt doppelt so groß wie sein Vorgänger und bietet Platz für 20 statt bisher zehn Räder, sogar ein Lastenrad passt drauf. Leiser sollen die neuen Zacke-Wagen sein, SSB-Vorstandssprecher Moser spricht von einem „neuen Fahrgefühl” und sagt: „Sanfter und eindrucksvoller kann man nicht nach Degerloch hinauf gleiten.”

Am größten sind die Veränderungen aber für die rund 30 Zacke-Fahrer, die seit Sommer für die Fahrten mit den neuen Wagen trainiert wurden. Ihr Arbeitsplatz sieht jetzt ganz anders aus, Moser vergleicht den technischen Fortschritt mit dem Sprung vom Tastentelefon der 1980er Jahre zum Smartphone heute. Andere Steuerung, andere Bremsen, überhaupt zeitgemäße Digitaltechnik inklusive Assistenzsystemen. „Autonom fahren können die neuen Zackewagen aber noch lange nicht, „das ist noch ein weiter Weg”, so der SSB-Vorstand.

Wie beliebt die Zacke ist, war bei der Inbetriebnahme des 1102 nicht nur durch den Andrang von Touristen wie der erwähnten Hanseatin zu erleben. Am Marienplatz, in Degerloch und an jeder der anderen sechs Haltestellen an der 2,2 Kilometer langen Strecke mit einer maximalen Neigung von 17,8 Prozent drängten sich Hobby- und Profi-Fotografen und Videografen, neugierige Einheimische, enthusiastische Bahn-Fans und -experten sowie Familien.

Einzige Zahnradbahn in einer Stadt

In ganz Deutschland gibt es noch genau vier Zahnradbahnen: die Zugspitzbahn, die Wendelsteinbahn, die Drachenfelsbahn und eben die Zacke in Stuttgart. Die ist die einzige, die in einer Stadt fährt und unverzichtbarer Bestandteil des öffentlichen Nahverkehrs ist. Und sie ist die einzige mit Fahrradwagen. Kein Wunder also, dass sie zu den Wahrzeichen der Landeshauptstadt zählt und rund 30 Prozent der Fahrgäste Touristen sind, die das besondere Fahrgefühl und die unvergleichliche Aussicht genießen wollen. Pro Tag nutzen laut SSB 2500 bis 3000 Fahrgäste die Zacke, um den Höhenunterschied von immerhin 210 Metern zwischen Marienplatz und Degerloch zu überwinden.

Eröffnet wurde die Stuttgarter Zahnradbahn im Jahr 1884, seit 1902 fährt sie elektrisch, seit 1936 bis zum Marienplatz, seit 1994 bis zum Degerlocher Albplatz. 1981 waren die letzten Fahrzeuge aus dem 19. Jahrhundert durch die bisherigen Triebwagen ersetzt worden. Deren Zeit ist jetzt auch um. Die Mechanik würden die SSB-Techniker zwar noch eine Zeit lang in Griff haben, die Elektronik ist aber hoffnungslos veraltet. Und Ersatzteile sind auch immer schwieriger aufzutreiben.

15 Millionen Euro für drei Wagen

Die drei neuen Wagen hat sich die Stuttgarter Straßenbahnen AG zusammen 15 Millionen Euro kosten lassen, für die drei Fahrradwagen, die Sonderanfertigungen sind, kamen insgesamt weitere drei Millionen Euro dazu. Geliefert worden waren die Fahrzeuge vom schweizerischen Weltmarktführer für Zahnradbahnen, Stadler Rail, bereits im vergangenen Herbst. Dann folgte ein intensives Testprogramm überwiegend nachts.

Der 1102 ist seit Samstag im ganz regulären Fahrbetrieb unterwegs, die beiden anderen Züge folgen in den kommenden Wochen. Bis zum Frühjahr werden sie SSB-intern und für die Öffentlichkeit nur Nummern sein. Ein großes Einweihungsfest mit Namensgebung für die drei neuen Zacke-Züge plant die SSB für das Frühjahr 2023 auf dem Marienplatz.

Und noch ein kleiner Tipp für ganz große Bahn-Fans mit viel Platz: Die SSB sucht noch Liebhaber, die die bis zum Jahresende endgültig ausgemusterten Zacke-Wagen übernehmen wollen. Falls sich niemand findet, werden sie verschrottet.