Stuttgart feiert eine Premiere nach der anderen – nach langen Entbehrungen gehen die Emotionen wieder hoch. Ob Palazzo, Christmas Garden oder Friedrichsbau Varieté– das schöne Leben kehrt zurück. Unser Kolumnist berichtet von Gänsehaut-Momenten.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Wie Phoenix aus der Asche steigt das Stadtleben mit Premieren, Feiern und roten Teppichen nach der langen Coronapause empor – und es scheint, als sei alles noch viel intensiver und emotionaler als früher.

 

Die Gänsehaut, die der aus Hamburg angereiste Bernd Zerbin von der Palazzo Produktions GmbH spürt, als er bei der Begrüßung den Blick im feierlich illuminierten und voll besetzten Spiegelzelt schweifen lässt („Haben Sie gesehen, wir haben wieder echte Kerzen?“), überträgt sich rasch auf das Ensemble und auf das Publikum der Premiere. Die Sehnsucht, die schönen Seiten des Lebens nachzuholen, die in der Pandemie ruhen mussten, wird bei der First-Class-Show „Ladies First“ fulminant erfüllt. Einig sind sich die Gäste am Ende: Spitzenkoch Harald Wohlfahrt muss die Coronapause genutzt zu haben, um noch kreativer und mutiger zu werden. Travestie-Lady Frl. Wommy Wonder schwärmt: „Das vegetarische Menü ist Weltklasse – früher hat man im Palazzo uns fleischlose Genießer eher stiefmütterlich behandelt.“

Was Harald Wohlfahrt über den Kollegen Alfons Schubeck sagt

Wohlfahrt, der kürzlich 66 Jahre alt geworden und bis 2017 als Drei-Sterne-Bezieher der Schwarzwaldstube in Baiersbronn als bester Koch Deutschlands gefeiert worden ist, sieht gut aus, schlanker wirkt er, ist gewandter und lustiger am Mikrofon als früher. In der Pandemie, als Restaurants geschlossen waren, hat er Umsatzrekorde eingefahren für die Scheck-in-Märkte, die er über eine eigens für ihn gebaute Produktionshalle im badischen Achern mit Fertiggerichten in der Gourmetklasse beliefert hat. „Früher stand ich für einen exklusiven und kleinen Kreis am Herd“, sagt er, „heute bin ich der Ansicht, dass man das Recht auf Genuss im Grundgesetz verankern müsste.“

Nein, zurück in die Tretmühle eines Spitzenrestaurants will er auf keinen Fall – zu sehr genießt er sein neues Leben. Erschreckend findet es Wohlfahrt, dass sein Kollege Alfons Schubeck wohl Opfer des Stresses geworden und zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden ist. „Man muss zu seinen Fehlern stehen“, sagt der Palazzo-Maestro, „aber das macht der Alfons ja.“

VfB-Altstars sehen die WM in Katar kritisch, schauen aber zu

Karlheinz Förster, einst einer der weltbesten Vorstopper, hat sich seit Wochen auf diese Premierennacht gefreut. „Es war fantastisch“, schwärmt er, „wie soll man das noch steigern?“ Die Fußball-WM in Katar wird er anschauen, sofern die deutsche Mannschaft antritt. Die Spiele hätte man niemals dorthin vergeben dürfen, findet Förster und ist sich damit mit seinem Palazzo-Nebensitzer Hansi Müller einig. Die früheren VfB-Stars sagen, den Spaß am Fußball dürfe man sich nicht zerstören lassen von einem Unrechtsregime. Hansi Müller hat die Operation für seine neue Hüfte extra für nächste Woche so terminiert, dass er in der Reha Zeit hat, die WM daheim zu verfolgen. „Nach den Spielen muss sehr viel aufgearbeitet werden“, fordert der 65-Jährige.

Ihr erstes Mal im Palazzo erlebt Europameisterin Elisabeth Seitz und ist begeistert, nicht nur, weil etliche Artistinnen hohe Turnkunst vorführen. Außerdem gesehen: Binder-Optik Chef Helmut Baur, der frühere Fecht-Olympiasieger Alexander Pusch, die Designer Renate Renner, Tobias Siewert, Manuel Kloker und viele andere.

Etliche Stadtpromis am Freitagabend bei Hollywood im Friedrichsbau

Beim Palazzo-Start am Donnerstagabend dabei ist Timo Steinhauer, Direktor des Friedrichsbau-Varietés, in dem am Freitagabend Premiere der Hollywood-Show „Dream Factory“ mit vielen Stadtpromis (erwartet werden Musicalstar Maximilian Mann, Moderatorin Tatjana Geßler, Ringer-Weltmeister Frank Stäbler, Winzer Thomas Diehl, Sängerin Lou Hoffner, Festwirtin Sonja Merz und viele andere) gefeiert wird. „Das Palazzo und wir ergänzen uns gut“, sagt er „jeder findet sein eigenes Publikum.“ Die Idee, die 40er Jahre zu zelebrieren, stammt von ihm. Jetzt freut er sich über eine große Nachfrage. An etlichen Tagen hätten Firmen das Theater komplett gebucht. Seit die Quarantänepflicht weggefallen ist, steigen die Verkaufszahlen. Die Ferry-Porsche-Stiftung, berichtet Steinhauer, finanziert den Besuch von 300 bedürftigen Menschen im Varieté, die über den Verein Stille Not von OB-Ehefrau Gudrun Nopper eingeladen werden.

Vergessen wir die kleinen Bühnen nicht!

In der Nacht der Premieren hat sich OB Frank Nopper mit seiner Frau für den Christmas Garden entschieden (wie auch Ex-Torwart Timo Hildebrand). Das Licht in harter Zeit anzulassen sei ein wichtiges Signal, hört Veranstalter Christian Doll in der Wilhelma immer wieder. Der Vorverkauf, freut er sich, laufe deutlich besser als im Vorjahr.

Die großen Veranstalter sind im Glück – doch vergessen wir die kleinen Bühnen nicht! Auch die brauchen uns – auch dort fühlt sich das Leben gut an. Ach, wie schön ist das Ausgehen doch wieder!