Die Osteuropa-Expertin Ulrike Gruska erläutert, warum sich vor allem Journalisten in Südost- und Osteuropa immer stärker bedroht fühlen.

Belgrad – - Ulrike Gruska arbeitet seit Januar 2012 als Osteuropa-Expertin bei Reporter ohne Grenzen. Davor berichtete die 40-Jährige für deutsche Medien aus Russland und dem Südkaukasus. Sie hat in Hamburg Politische Wissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa studiert.

 

Frau Gruska, muss man sich Sorgen machen um die Pressefreiheit in Europa?

In keiner anderen Weltregion hat sich die Pressefreiheit im vergangenen Jahr so stark verschlechtert wie in Europa. Zu den Ländern, die auf unserer Rangliste der Pressefreiheit am stärksten gefallen sind, zählen Tschechien, die Slowakei, Serbien und Malta. Seit Anfang 2017 wurden in der EU bereits vier Journalistinnen und Journalisten ermordet – eine erschreckende Zahl.

Woran liegt es, dass unabhängige Journalisten in Ost- und Südosteuropa besonders bedrängt scheinen?

Es sind oft ähnliche Muster, die wir in diesen Ländern beobachten. Regierungspolitiker zeigen offen ihre Verachtung gegenüber unabhängigen Medien. Durch ihre feindselige Rhetorik schaffen sie ein Klima, in dem Gewalt als legitimes Mittel erscheint, um kritische Berichterstattung zu stoppen.

Können Sie Beispiele nennen?

Das beste Beispiel ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der kaum eine Gelegenheit auslässt, kritische Journalisten als Auslandssöldner zu diffamieren. Vielerorts kaufen regierungsnahe Oligarchen die Medien auf und mischen sich offen in die Berichterstattung ein. In Ungarn gehören sämtliche Regionalzeitungen inzwischen Orban-freundlichen Unternehmen. Und die Regierung bestimmt teilweise mit wörtlich vorgefertigten Stücken die Berichterstattung im staatlichen Rundfunk. In Bulgarien wird die Berichterstattung de facto von dem Medienmogul und Abgeordneten Deljan Peewski bestimmt. Er soll in die organisierte Kriminalität verwickelt sein. In den Medien ist das ebenso ein Tabuthema wie der massive Missbrauch von EU-Geldern.

Wie wirkt sich das auf die Arbeit der Journalisten aus?

Reporter werden immer häufigen mit Klagen wegen Verleumdung oder Beleidigung von Amtsträgern überzogen – zum Teil unter Androhung drakonischer Strafen. Geheimdienste bauen die Überwachung der Kommunikation von Journalisten immer stärker aus – und gefährden damit den Schutz von deren Quellen. Kein Wunder, dass Selbstzensur und Zurückhaltung weit verbreitet ist.

Halten Sie den Einsatz der EU für die von ihr gerne postulierte Pressefreiheit für ausreichend?

Nein, absolut nicht. Aus den Versäumnissen der Vergangenheit hat die EU noch immer nicht genügend Lehren gezogen. Die Länder, in denen zuletzt Journalisten ermordet wurden, sind allesamt Staaten, die erst in den vergangenen 15 Jahren der EU beigetreten sind. Oft hat bei deren Beitritt das Bekenntnis zur Pressefreiheit auf dem Papier ausgereicht.

Und wie sieht es bei den heutigen EU-Anwärtern aus?

Auch bei den Beitrittskandidaten Serbien, Mazedonien und der Türkei fordert die EU die Pressefreiheit nicht vehement genug ein. Bei den Beitrittsverhandlungen gibt es zwar regelmäßig sogenannte Fortschrittsberichte. Die beschreiben die Probleme aber oft nur sehr allgemein, ohne die Verantwortlichen für die Einschränkung der Pressefreiheit konkret zu nennen. In Serbien ist es Präsident Aleksandar Vucic persönlich, der über ihm nahe stehende Medienunternehmer die Berichterstattung kontrolliert und kritische Journalisten als Lügner beschimpft.

Was könnte die EU denn tun?

Sie müsste viel mehr Druck auf die Behörden ausüben, um ernsthaft nach den Hintermännern von Verbrechen an Journalisten zu fahnden – und zur Rechenschaft zu ziehen. Denn viel zu oft verlaufen die Ermittlungen im Sand – und sorgen so für einen Teufelskreis. Denn die weit verbreitete Straflosigkeit für Gewalt gegen Journalisten bereitet nur den Boden für neue Straftaten.