Mit wenigen Ausnahmen zollen die Medien der Wiederwahl von Boris Palmer in Tübingen hohen Respekt. Seinen Gegnerinnen wird in Kommentaren Profillosigkeit unterstellt.
Die politischen Reaktionen auf den Wahlsieg von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der unter parteiloser Flagge antrat, waren auch am Montag noch verhalten. Allein Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gratulierte auf Twitter.
Özdemir verbinden mit Palmer – dessen Grünen-Mitgliedschaft ruht – lange Jahre als Mitglieder des realpolitischen Flügels der Grünen. Glückwünsche kamen auch von Armin Laschet (CDU), dem Ex-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Die Medien hatten indes keine Mühe, die Tübinger OB-Wahl eindeutig zu kommentieren – eine Auswahl im folgenden:
„Ein verdienter Sieg“
Der in Konstanz erscheinende „Südkurier“ stellt die Leistungen Palmers heraus: „Er kämpfte gegen seine eigene Partei, er stand sich oft genug selbst im Weg und am Ende durchkreuzte ihm eine Corona-Infektion den Wahlkampf. Und doch hat er es gepackt: Boris Palmer, Baden-Württembergs bekanntester Trotz-Grüner, bleibt Chef des Rathauses in Tübingen. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen. Denn in seiner Stadt hat dieser Oberbürgermeister mehr vorzuweisen als eine Reihe provokanter Sprüche, die ihm ein Ausschlussverfahren bei den Grünen eintrugen. Palmer handelte, wo andere nur reden. Er sanierte städtische Gebäude und brachte sie klimatechnisch auf Vordermann, er machte Druck auf Grundstückseigentümer, die Bauland unbebaut ließen, er fegte mit einer Verpackungssteuer Pappbecher von der Straße. Nicht zuletzt ging er bei Corona eigene Wege. Tübingen hat davon profitiert. Den Wählerinnen und Wählern am Neckar war das zu Recht wichtiger als Parteiquerelen und politisch korrekte Befindlichkeiten. Ein verdienter Sieg, trotz allem.“
„Kein gutes Zeugnis für die Grünen“
Die „Rhein-Neckar-Zeitung“ aus Heidelberg erkennt ein Grünen-Problem in der OB-Wahl: „Die Gegenkandidatin aus den eigenen Reihen trug wiederum im Wahlkampf mantramäßig vor, 16 Jahre seien genug. Dieses blasse Argument kennt man irgendwoher. Es ignoriert eine beeindruckende Leistungsbilanz, verfängt am Ende aber offensichtlich nicht. Im Wahlkampf wurden immer wieder Parallelen zu Heidelberg betont. Auch hier ein Amtsinhaber, der 16 Jahre am Ruder ist. Auch er weiß eine beachtliche Leistungsbilanz auf seiner Seite. Und gegen ihn tritt nicht nur eine Unbekannte an, sondern gleich eine ehemalige Ministerin. Vermutlich auch, weil Rathaussessel für die Grünen in Baden-Württemberg rar geworden sind. Stuttgart, Freiburg - und jetzt indirekt auch Tübingen sind weg. Kein gutes Zeugnis für eine Partei, die sich als die neue Volkspartei im Südwesten sieht. Nun denn: Es tun sich jetzt wieder Möglichkeiten auf, Boris Palmer voll zu rehabilitieren. Damit wenigstens ein renommiertes Rathaus in grüner Hand sein kann. Wenn auch indirekt.“
„Grüner Stadtverband ist gescheitert“
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt: „Das jetzige Ergebnis kann als deutliche Niederlage für seine innerparteilichen Gegner gedeutet werden: Die vom grünen Stadtverband per Urwahl bestimmte Kandidatin Ulrike Baumgärtner erhielt nur 22 Prozent. Ziel der Grünen, die das Parteiausschlussverfahren befürwortet und die sich eine linkere Oberbürgermeisterin für Tübingen gewünscht hatten, war es, Palmer nach dieser Wahl in einen weiteren Wahlgang zu zwingen, der in Baden-Württemberg immer eine Neuwahl ist, zu der auch neue Kandidaten antreten können. Dieses Ziel des grünen Stadtverbandes scheiterte genauso wie das, deutlich vor der SPD zu liegen: Die SPD-Kandidatin Sofie Geisel bekam 21,4 Prozent.“
„Schlappe mit Fassung getragen“
Das „Schwäbische Tagblatt“ befasst sich mit den Verliererinnen: „Für beide Herausforderinnen von Boris Palmer gilt: Es reichte eben nicht, sich im Wahlkampf an der Person Boris Palmer abzuarbeiten statt mit eigener Persönlichkeit und einem starken Programm mit eigenen Akzenten zu glänzen. Beide Frauen haben auf die verlorene Wahl fair reagiert, sie haben Palmer gratuliert und die Schlappe mit Fassung getragen. Es bleibt zu hoffen, dass ihre Anhänger das nun auch tun. Und dass auch Palmers Anhänger nicht nachkarten.“
„Geschafft – obwohl er Kopfschütteln erntet“
Die „Ludwigsburger Kreiszeitung“ meint über den Sieg von Palmer: „Er hat es wieder einmal geschafft. Gegen die eigene Partei. Obwohl er seit Jahren mit Pöbeleien bei vielen Menschen Kopfschütteln erntet. Obwohl eine Corona-Infektion seinen Wahlkampf in der wichtigsten Phase lähmte. Boris Palmer, 50 Jahre alt, bleibt Oberbürgermeister von Tübingen, für eine weitere, dritte Amtszeit. Palmer hat diesmal alles auf eine Karte und sich gegen seine Konkurrenten durchgesetzt, sechs an der Zahl, im Alleingang. Hätte er im ersten Wahlgang verloren, so seine Ankündigung, hätte er die Politik an den Nagel gehängt. Nun ist klar: weitere acht Jahre.“