Nach dem Wahlausgang in Thüringen dürfte die Regierungsbildung kompliziert werden. Die Zeitungen im In- und Ausland beschäftigt unter anderem, warum die AfD mit Björn Höcke so stark punkten konnte.

Stuttgart - Die „Frankfurter Rundschau“ kommentiert die Landtagswahl in Thüringen: „Jeder wusste, dass Björn Höcke mit seinem ultrarechten ‚Flügel’ versucht, ein System mit faschistischem Vorbild aufzubauen. Es gab keine Ausrede: Wer AfD wählt, wählt nicht Protest, sondern rechtsextrem. Fast vier Fünftel der Wähler haben den Gesellschaftsvertrag mit der Demokratie aber nicht gekündigt. In Thüringen hat es einen ernstzunehmenden Zweikampf akzeptabler Kandidaten gegeben. Sowohl der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow als auch der CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring haben sich klar und unmissverständlich gegen rechts abgegrenzt. Gewonnen hat die Demokratie, weil erkennbare Persönlichkeiten für erkennbare Alternativen einstanden. Wir dürfen aber nicht glauben, dass mit diesem AfD-Wahlergebnis Höckes Gedanken nun nicht mehr greifen und die braune Gefahr am Schwinden ist.“

 

Die Wahl als „Alarmzeichen“

Die „Nürnberger Nachrichten“ sehen im Wahlausgang ein „Alarmzeichen“: „Eine Partei steuert immer unverhohlener ins Radikale – und selbst das bremst ihren Aufstieg nicht. Ein Alarmzeichen, das alle Demokraten zum Nachdenken zwingen muss. Und auch zu ungewohnten Experimenten. Thüringen wird so zum Labor für eine Parteiendemokratie im dramatischen Wandel. Es geht auch darum, wie freiheitlich, offen, bunt und pluralistisch dieses Land sein und bleiben will.“

Die „Volksstimme“ aus Magdeburg schreibt zur Landtagswahl in Thüringen: „Der beinahe historische Wahlsieg der Linken geht nahezu komplett auf das Konto von Bodo Ramelow. Sachorientiert, undogmatisch, für einen Roten ziemlich bürgerlich. Dennoch reicht es nicht für die Fortführung der bisherigen Koalition mit SPD und Grünen. Die Sitzverteilungs-Arithmetik im Erfurter Landtag macht es schwierig, eine stabile, arbeitsfähige Regierung zu bilden. Am solidesten unter den machbaren Optionen wäre sicher die Zusammenarbeit mit der CDU. Dafür müssen jedoch auf beiden Seiten massive Vorbehalte aus dem Weg geräumt werden. Bitter ist das Wahlergebnis für die Sozialdemokraten: Einstellig – historisch niedrig und ein sehr ernsthaftes Alarmsignal in Richtung Bundes-SPD. Besonders drastisch illustrieren das die Zahlen zur Wählerwanderung: 17 000 Ex-SPD-Wähler stimmten diesmal für die Linke, 7000 wanderten zur AfD ab. Erschreckend: Deren Erfolg verschafft ausgerechnet Björn Höckes rechtsextremem Flügel Oberwasser in der Bundespartei.“

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Warum hat die CDU so stark verloren?

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ beschäftigt die Frage, warum die CDU als zuvor stärkste Fraktion im Landtag so starke Einbußen verzeichnete. „Ihre Wähler verlor die CDU aber laut Infratest Dimap an die Linkspartei (20.000), die Grünen (5.000) und besonders an die AfD (36.000). Auch wenn es medial eine Duell-Situation zwischen Mohring und Ramelow gab, was sich auch in den zuletzt beinahe gleichauf liegenden Umfragewerten ausdrückte (24 Prozent CDU, 26 Prozent Linke), scheint die CDU zwischen der AfD auf der einen und der Linkspartei auf der anderen Seite zerrieben worden zu sein. Wer das zufriedene „Weiter so“ wollte, wählte eher den Amtsinhaber, wer Protest zum Ausdruck bringen wollte, die AfD.“

Die „Tageszeitung“ ist der Auffassung, dass Bodo Ramelow – entgegen der anderslautenden Meinung des CDU-Spitzenkandidaten Mike Mohrings – ein Politiker der demokratischen Mitte sei. Das begründet die Zeitung folgendermaßen: „Die AfD möchte ausgrenzen, Ramelow integriert. Er hat sich um einen Ausgleich mit Opfern des DDR-Regimes bemüht. Seine Regierung hat Geringstverdienern geholfen, indem der Freistaat nur Aufträge vergibt, wenn mindestens 11,42 Euro pro Stunde gezahlt werden. Seine Linkspartei hätte den Verfassungsschutz gern abgeschafft, aber Ramelow suchte der Behörde in Stephan Kramer lieber einen Chef, der sie umbaut. Als die Landesregierung die Kreise und Gemeinden neu zuschneiden wollte, traf sie vor Ort auf Widerstand. Ramelow machte einen klugen Rückzieher, die Gemeinden durften selbst entscheiden, was sie machen. Ausgerechnet der Mann, der so kauzig ausrasten kann wie ein Waldgeist, versöhnt.“

Reaktionen aus dem Ausland

Auch in der internationalen Presse gibt es am Montagmorgen erste Reaktionen auf die Landtagswahl in Thüringen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentiert am Montag die schwierige Regierungsbildung nach der Wahl: „Wie man es dreht und wendet, Gedanken machen muss sich vor allem die CDU. Sie hat 12 Prozentpunkte verloren und steht vor einer schweren Entscheidung: Gibt sie eine ihrer zentralen Überzeugungen auf und geht eine Koalition mit der Linkspartei ein? Oder ist sie wenigstens bereit, eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu tolerieren? (...) Doch selbst in dieser Konstellation wird sie mit der Linkspartei eine konstruktive Politik machen müssen, will sie aus Ramelow nicht einen Märtyrer machen, der sich allein um das Wohl der Thüringer kümmert. Wenn die CDU weiterhin so massive Verluste einfährt, wird sie sich den Dünkel gegen die Linkspartei und die AfD ohnehin nicht mehr lange leisten können. Die Aufgabe ihres Prinzips, weder mit den Rechtspopulisten noch mit den SED-Nachfolgern zu koalieren, dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.“

„Anklänge aus den 1930er Jahren“

Die „New York Times“ bilanziert nach der Wahl: „Thüringen ist eines der kleinsten Bundesländer in Deutschland, aber Björn Höckes nationale Bekanntheit und seine provozierende Sprache, voll mit Anklängen aus den 1930er Jahren, haben dazu geführt, dass der Wahl große Bedeutung zugemessen wurde. (...) In Ostdeutschland ist die AfD mittlerweile an der Basis tief verwurzelt und konnte sich als führende politische Kraft etablieren.“