Im Einkaufszentrum Milaneo in Stuttgart eröffnet die umstrittene Modekette ihren 14. Standort in Deutschland. Ein Erfolgsmodell, obwohl die Vorzeichen in Stuttgart eigentlich schlecht stehen.

Stuttgart - Ein Laden, Tausende meist junge Menschen, die hineindrängen, kaum Werbung, kein Geschäft im Internet und Kleidung, die fast ausschließlich durch extrem niedrige Preise besticht. Das Phänomen der irischen Modekette Primark entzieht sich weitgehend den bekannten Maßstäben des Einzelhandels. Das umstrittene Modelabel wird in Stuttgart mit Protesten und Kritik empfangen. Dabei soll das Unternehmen dem ebenfalls umstrittenen Einkaufscenter Milaneo eine Vielzahl seiner Kunden bescheren.

 

Eigentlich stehen die Vorzeichen schlecht für den Start in Stuttgart. Das Europaviertel zwischen Bahnhof und Wolframstraße ist im Zusammenhang mit Stuttgart 21 in der Stadt wenig beliebt, das Milaneo selbst steht wegen eines befürchteten Verkehrschaos in der Kritik und Primark, der Ankermieter des Centers, hat mit Imageproblemen zu kämpfen. Löhne in der Produktion nahe an der Armutsgrenze und die Arbeitsbedingungen werden angeprangert. Trotzdem blickt der Deutschlandchef des Modelabels, Wolfgang Krogmann, optimistisch auf die Eröffnung am morgigen Donnerstag – auch wenn Proteste explizit gegen sein Unternehmen angekündigt sind. Und: er will den Kontakt zu OB Fritz Kuhn (Grüne) suchen.

52 Kassen für einen Laden

Der Grund, weshalb Krogmann zuversichtlich auf Donnerstag blickt, lässt sich als Phänomen Primark beschreiben. Die Marke genießt bei seinen Kunden Kultstatus. „Üblicherweise stürmen mehrere tausend Jugendliche den Laden. Wir haben deswegen Sicherheitspersonal und Absperrgitter vor Ort und stehen in ständigem Kontakt mit der Polizei“, erklärt der Deutschlandchef im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung. Um dem erwarteten Ansturm Herr werden zu können, verfügt die Filiale im Milaneo über 52 Kassen. „Trotzdem kann es zu Wartezeiten kommen“, erklärt Krogmann. Die Jugendlichen nähmen sich am Eingang eine Einkaufstüte von der Größe eines Wäschekorbs und packen ein, was das Taschengeld hergibt. „Oft wird das Budget bis auf den letzten Cent ausgegeben“, berichtet Krogmann.

Wolfgang Krogmann, Deutschlandchef von Primark. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth
Die Popularität bei den Kunden steht im scharfen Kontrast zur Kritik, mit der sich der Konzern auseinandersetzen muss. „Primark steht für Ausbeutung und Unterdrückung“, heißt es auf dem Aufruf zu einer Demonstration anlässlich der Eröffnung. „Primark symbolisiert extremen Konsum und definiert Kleidung als Wegwerfobjekt“, sagt beispielsweise Marc Buschlüter vom Vorstand der Grünen Jugend Stuttgart. Der Nachwuchspolitiker will sich am Protest gegen die Modekette beteiligen und organisiert Diskussionsrunden zum Thema. „Die Kleidung wird einmal getragen und weggeworfen. Dafür schuften die Arbeiter und leben an der Armutsgrenze.“ Auch Prominente haben sich bereits kritisch zu Primark geäußert. „Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Fritz Kuhn seinen Kinder gesagt hat, sie sollen nicht bei uns einkaufen“, sagt Krogmann und fügt an: „Ich weiß nicht, ob der Stuttgarter OB ein genaues Bild von uns hat. Da suche ich natürlich das Gespräch mit ihm.“ Dass der Primark-Chef dazu bereits bei der Eröffnungsgala am heutigen Mittwochabend die Chance haben wird, scheint ihn zu überraschen. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass der OB zu dem Event kommt“, gibt Krogmann zu.

Routinierte Antwort auf ethische Fragen

Auf das Thema Ethik reagiert der Manager routiniert: „97 Prozent unserer Fabriken teilen wir uns mit Mitbewerbern wie H&M, Zara und anderen“, sagt er. Zusätzlich wird darauf verwiesen, dass Primark seine Lieferanten genau prüfe, einen eigenen Kodex aufgestellt habe und die Arbeitsbedingungen ständig überwacht würden. Zudem habe man schlanke Strukturen ohne Zwischenhändler, die niedrige Preise möglich machen. „Diese Preise können wir anbieten, weil wir kleinere Margen pro Stück einnehmen“, so Krogmann. Diesen Nachteil gegenüber der Konkurrenz mache man mit schierer Masse wett. Neu für das Modeunternehmen sind jedoch die für Stuttgart angekündigten Proteste. „Das gab es erstmals bei der Eröffnung am Alexanderplatz in Berlin vor drei Monaten“, so Krogmann, „vielleicht erzählen wir noch nicht genug, wie wir uns engagieren.“

Doch egal ob Primark in der Stadt willkommen ist oder nicht, die Kette hat vor zu bleiben. „Vier unserer mit Stuttgart 14 Standorte haben wir im Eigentum. Wir sind immer auf ein langfristiges Engagement aus“, sagt der Deutschlandchef. „Es ist klar, dass wir in Deutschland weitere Filialen eröffnen wollen. In Berlin haben wir bereits zwei Standorte. Das kann ich mir auch für Stuttgart in Zukunft gut vorstellen“, sagt Krogmann. Konkrete Pläne für eine Filiale außerhalb des Milaneo gebe es derzeit jedoch noch nicht, erklärt er.

Zweite Filiale in Stuttgart?

Angesprochen auf den Flächenboom im Einzelhandel in Stuttgart sagt der Primark-Chef: „Aus meiner Sicht gibt es da sicher eine Grenze. Ich weiß nur nicht genau, wo die liegt.“ Doch gibt es in Deutschland nach Krogmanns Aussage bereits heute doppelt so viel Handelsfläche pro Einwohner wie in England. „Das liegt daran, dass hierzulande in den vergangenen 30 Jahren massiv neue Einkaufszentren gebaut wurden“, sagt er. Daher gebe es Einkaufsstraßen und Shoppingcenter, die inzwischen leer stehen. „In Berlin-Steglitz haben wir beispielsweise ein ehemaliges Einkaufszentrum für eine neue Filiale genutzt“, sagt Krogmann. Für den Primark-Manager steht jedenfalls fest: „Jede neue Filiale muss sich wirtschaftlich tragen. Finanziell arbeiten wir sehr solide.“ Das gelte auch für eine zusätzliche Filiale in Stuttgart abseits des Milaneo.

Die Logistik hinter dem Modeunternehmen

Masse Nach Angaben des Modeunternehmens wird eine Filiale wie die im Stuttgarter Milaneo an sechs Tagen in der Woche jeweils von einem Lkw mit 500 bis 600 Kartons neuer Kleidung beliefert, um aufzufüllen, was am Vortag verkauft wurde.

Arbeitskräfte In Stuttgart wird Primark rund 500 Menschen beschäftigen. Etwa 25 Prozent davon in Vollzeit, rund 65 Prozent halbtags. Der Rest sind Minijobber, die vorwiegend an Samstagen eingesetzt werden. Die Löhne liegen zwischen 9,45 und 13,75 Euro.

Schichtsystem Bei der irischen Modekette wird 24 Stunden am Tag im Schichtbetrieb gearbeitet. Während am Tag verkauft wird, arbeitet die Logistik des Unternehmens bei Nacht, um jede Filiale wieder für den folgenden Verkaufstag zu präparieren.