Zwei Unglücke binnen einer Woche ließ manche das Ende der kommerziellen Raumfahrt ausrufen. Doch die beiden haben völlig unterschiedliche Ursachen. Experten warnen deshalb davor, jetzt unnötig Katastrophenstimmung zu verbreiten.

Stuttgart - Anfang des Jahres war die Welt noch in Ordnung. „2014 bringt großen Schub für private Raumfahrt“, lautete am 2. Januar die Schlagzeile des österreichischen Magazins „futurezone.at“. Unter den acht Raumfahrtunternehmen, deren Pläne darin vorgestellt werden, sind die Firmen Space X und Orbital Sciences, die im Auftrag der Nasa die Internationale Raumstation ISS versorgen. „Die größten Hoffnungen“ aber ruhten laut dem Magazin auf dem ersten Start von Space Ship Two des Unternehmer-Popstars Richard Branson und seiner Firma Virgin Galactic. Der Achtsitzer ist für kommerzielle Touristenflüge an den Rand des Alls gebaut.

 

Doch nun? Alles dahin. Auf der Startrampe in Virginia explodiert am 28. Oktober die Antares-Rakete für den dritten Versorgungsflug von Orbital Sciences zur ISS. Drei Tage später zerschellt das bisher einzige flugbereite Space Ship Two in der Mojave-Wüste Kaliforniens; ein Testpilot stirbt, der zweite schwebt in Lebensgefahr.

Zwei Unglücke sind ein Rückschlag, aber nicht das Ende

Von einer „rabenschwarzen Woche für die private Raumfahrt“ spricht die „Tagesschau“. Für den Nachrichtensender N24 steht die private Raumfahrt „auf der Kippe“, und „Spiegel Online“ kommentiert: „Private können im All alles besser – binnen einer Woche hat diese Strategie in den USA massiven Schaden genommen.“ Doch zwei Unglücke, die nichts miteinander zu tun haben, sind, so schwer sie auch waren, ein Rückschlag, aber nicht das Ende der privaten Raumfahrt.

In Virginia ist ein bereits viermal erfolgreich geflogenes Exemplar der Einweg-Rakete Antares explodiert, die im Dienst der Nasa starten sollte. Sie war mit alten, aber modernisierten Motoren aus sowjetischer Herstellung ausgestattet. 40 dieser Raketenmotoren hatte eine US-Firma nach dem Scheitern des sowjetischen Mondprogramms 1972 gekauft.

Die Rahmenbedingungen für den Unfall waren also ganz andere als in Kalifornien, wo, wie „The Washington Post“ schwärmt, ein nagelneues, „elegantes Raumschiff“ getestet wurde, „mit schlankem Körper und auffallenden Tragflächen“, als Einzelstück „von Hand gefertigt“. Die Absturzursache ist unbekannt, aber es war eine neue Treibstoffmischung getankt worden, und Virgin-Galactic-Chef Richard Branson war ungeduldig. „Ich wäre bitter enttäuscht, wenn ich nicht vor dem Ende dieses Jahres im Weltall bin“, soll er laut „Spiegel Online“ vor zwei Monaten gesagt haben. Das „Ich“ war wörtlich gemeint. Erste Passagiere sollten er und seine zwei Kinder sein. Branson hat schon gut 700 Touristen-Tickets für bis zu 250 000 Dollar verkauft.

Ernst Messerschmid, Astronaut und emeritierter Professor der Universität Stuttgart, warnt vor „Alarmismus“. „Es gibt auf der Welt zehn bis zwanzig Trägerraketen, die sehr erfolgreich sind.“ Dazu zählt er auch die Falcon-Rakete der Firma Space X von Paypal-Gründer Elon Musk. Auch bei Space X hat es Explosionen gegeben, zum Glück ohne Verletzte. Musk ist im Plan. Vier von zwölf Flügen zur ISS, die die Nasa von ihm für 1,1 Milliarden Dollar gekauft hat, sind erledigt, zwei weitere sind für Dezember und Februar vorgesehen. Orbital Sciences habe Pech gehabt, dass schon die Nutzlast auf der Rakete gewesen und zerstört worden sei, sagt Messerschmid. „Das bedeutet: Ursache finden, Fehler abstellen. Kein System ist zu hundert Prozent sicher.“

Raumfahrt ist das eine, Weltalltourismus das andere

Und er fragt, was eigentlich als private Raumfahrt zählt. Auch Arianespace, Betreiber der Europarakete Ariane V, ist eine private Firma. Space X, Orbital Sciences – sie alle bekommen institutionelle Gelder von Esa und Nasa. Rein privat finanzieren nur Richard Branson und seine Konkurrenten den Traum vom Weltraumtourismus. Den aber möchte Messerschmid nicht als Weltraumfahrt bezeichnen. Space Ship Two brauche für einen Flug nur ein Zehntel der Energie, die nötig sei, um eine Erdumlaufbahn zu erreichen. Die Fluggäste werden, wenn überhaupt, nur wenige Minuten Schwerelosigkeit erleben.

„Seit 15 Jahren überwiegt das kommerzielle Geschäft“, sagt er und zählt auf: Rundfunksatelliten, Telekommunikation, Navigation, Wettervorhersage. Anbieter „finden einen großen Markt, und der ist völlig unbeeindruckt von dem, was Exoten machen“. Die Bestätigung findet sich bei der FAA. Die Luftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten gibt regelmäßig Berichte über kommerzielle Weltraumfahrt heraus. „Der Satelliten-Service-Markt ist generell robust“, heißt es in dem neuesten Bericht Der Bedarf für den Zeitraum bis 2022 wird auf 31,2 Raketenstarts pro Jahr geschätzt, für jährlich 56,5 Satelliten.

Johann-Dietrich Wörner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), sieht keinen Anlass zu Pessimismus. „Ich gehe nicht davon aus, dass die private Raumfahrt vor dem Aus steht. Unfälle haben den Menschen nicht davon abgehalten, Autos, Schiffe und Flugzeuge zu bauen. In der Raumfahrt ist es ebenso. Auch in der staatlichen Raumfahrt gab es Rückschläge, und wir sind weitergeflogen. Genauso wird es auch in der privaten Raumfahrt sein.“