Von Ankara aus wurde ein Klima der Angst geschürt, in Ludwigsburg hat es die erwartete Wirkung gehabt: Das türkische Integrationsprojekt Gauss-Schule ist ein Opfer von Hass und Hetze geworden. Doch der Trägerverein gibt nicht auf, er will seine Bildungsarbeit fortsetzen – mit anderen Mitteln.

Ludwigsburg - Am Ende war der Druck zu groß: Schon 2014 ist die Ludwigsburger Carl-Friedrich-Gauss-Schule ins Visier der türkischen Regierung geraten. Weil der Trägerverein der Gülen-Bewegung nahesteht, traf der Bannstrahl von Präsident Erdogan auch die Gauss-Schule. Drohungen und Intrigen schufen ein Klima der Angst, die Schüler liefen in Scharen davon. Im vorigen März hat die Schulleitung das Aus für die Privatschule beschlossen, inzwischen ist das Gebäude an der Martin-Luther-Straße leer geräumt. Der Trägerverein SDI konzentriert sich nun wieder auf Nachhilfeunterricht für Kinder im Grundschulalter. Doch statt vorrangig türkische Kinder zu fördern, kümmern sich die Lehrer nun vor allem um die Kinder von Flüchtlingen.

 

Vor sieben Jahren hat er Recep Erdogan und dessen Politik noch gegen seine Kritiker verteidigt, jetzt hat ihn der lange Arm des türkischen Staatspräsidenten eingeholt: Der Leiter des Ludwigsburger Vereins SDI (Verein für Soziale Zusammenarbeit, Dialog und Integration) kann nicht mehr in die Türkei reisen, ebenso wenig wie seine Frau und seine Kinder. „Auch wenn meine Söhne es nicht verstehen wollen, sie müssen damit rechnen, verhaftet zu werden.“

Vereinsvorsitzender steht auf der Schwarzen Liste

Das Bundeskriminalamt hat den SDI-Vorsitzenden darüber informiert, dass er auf der Schwarzen Liste steht, auf der Ankara missliebige Personen verzeichnet. Ihr Vergehen aus Sicht Erdogans: Sie stehen der Gülen-Bewegung nahe. Um seine Familie nicht noch mehr zu gefährden, möchte der 45-Jährige auch in der Zeitung nicht mit seinem vollen Namen genannt werden.

Die Politik in Ankara hat die türkischen Gemeinden in Deutschland gespalten. Im Falle des SDI geht der Riss sogar durch den Verein: Auch ehemalige Kollegen aus dem Vorstand haben sich ab- und den mit Erdogan sympathisierenden Vereinen zugewandt. „Sie beschimpfen mich als Terroristen“, sagt der SDI-Vorsitzende, der als dreijähriges Kind nach Deutschland gekommen ist. Er bedauert, dass über Meinungsverschiedenheiten nicht mehr diskutiert werde. Stattdessen herrsche „eine beleidigende und herabwürdigende Sprache“ vor.

Dass der SDI-Verein in die Mühlen der türkischen Politik geraten sei, sei der Friedrich-Gauss-Schule zum Verhängnis geworden. Der SDI zählte vor drei Jahren noch knapp 300 Mitglieder, jetzt sind es nur noch 100. Die vor zehn Jahren als Realschule und Gymnasium gegründete Privatschule an der Martin-Luther-Straße wurde in ihrer besten Zeit von 270 Schülern besucht, im Schuljahr 2016/17 – dem letzten – war deren Zahl bereits auf 95 geschrumpft.

„Mit 200 Schülern hätte sich die Schule noch getragen“, glaubt der Vereinsvorsitzende. Zwei Jahre lang hätten die Verantwortlichen deshalb gehofft, die politische Lage werde sich wieder entspannen. Immerhin wurden im Laufe des Bestehens drei Jahrgänge bis zum Abitur und fünf zur Mittleren Reife geführt. Doch es kehrte keine Ruhe ein, stattdessen beschleunigte sich der Abwärtstrend.

„Der Islam wird zerstört“

Die schon 2014 spürbar gewordene Einflussnahme der Politik habe sich nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 zugespitzt. Seither wurde offen und versteckt massiv Druck auf Lehrer und Schüler ausgeübt. Der SDI-Vorsitzende erzählt von teils absurden Situationen: „Manche Eltern haben geweint, als sie ihre Kinder abmeldeten“, sagt er. „Die Kinder hatten keine schulischen Probleme, aber die Eltern sagten, ihr Kind schafft das nicht mehr.“

Für ihn stehe die Gülen-Bewegung vor allem für eine Initiative für mehr Bildung und „für einen Glauben, den jeder so leben darf, dass er innerlich zufrieden ist“, sagt der Vereinsvorsitzende. Er beklagt, dass die muslimischen Länder nicht mehr friedlich seien. „Das Bild des Islam, so wie ich ihn leben möchte, wird von Fanatikern zerstört“, sagt er. Inzwischen auch in der bis vor wenigen Jahren noch offenen Türkei.

Den ursprünglichen Vereinszweck, mehr türkischstämmige Bürger bis zu einem akademische Grad zu führen, musste der SDI aufgeben. Stattdessen fördert er nun Flüchtlinge und Asylbewerber.

Die Bildungsinitiative

Schule
Die Carl-Friedrich-Gauss-Schule ist im Schuljahr 2007/08 gestartet. Die vom türkischen SDI-Verein getragene Privatschule bot Unterricht bis zur Mittleren Reife und bis zum Abitur. Da in der Gauss-Schule von Anfang an Ganztagsunterricht angeboten wurde, war sie auch für viele alteingesessene Ludwigsburger Familien attraktiv. Das Ganztagsangebot am Ludwigsburger Schiller-Gymnasium startete erst im Schuljahr 2013/14.

Verein
Ursprünglich hat sich der Ludwigsburger Verein SDI (Verein für soziale Zusammenarbeit, Dialog und Integration) im Jahr 2001 gegründet, um etwas gegen das starke Bildungsgefälle zu unternehmen: Türkischstämmige Schüler schafften es kaum bis zum Abi. Noch 1992 sind beispielsweise von 600 Maschinenbaustudenten in Stuttgart nur drei Türken gewesen. Der Verein begann mit Nachhilfe für Grundschüler, ein Konzept, auf das er sich nun wieder zurückgezogen hat.