An den Riesenfesten Cannstatter Volksfest und Frühlingsfest scheiden sich die Geister. Auch unsere Autoren haben unterschiedliche Ansichten.

Stuttgart - Auf dem Cannstatter Wasen dreht sich wieder das Riesenrad, aus den Bierzelten tönt laute Musik und es riecht nach Zuckerwatte – das Frühlingsfest lockt jährlich rund 1,5 Millionen Gäste auf den Wasen. Doch an beiden Volksfesten – Frühlingsfest und Wasen im herbstscheiden sich die Geister. Während es manche kaum erwarten können, zu Helene Fischer in den Bierzelten zu schunkeln, graut es den anderen vor der Zeit der Dirndl- und Lederhosen-Träger in der Stadt. Auch unsere Autoren Lukas Jenkner und Philipp Maisel haben unterschiedliche Ansichten zum Fest.

 

Pro: Volksfeste sind laut und fröhlich

Mindestens zweimal im Jahr brummt der Wasen und dann richtig. Er kostet zahllose Göckele das Leben und lässt die Polizei rund um die Uhr rotieren. Alkohol, Verkehrschaos, Unfälle – es gibt vieles, was man an den großen Stuttgarter Volksfesten kritisieren kann. Sie sind – kurz und ehrlich zusammengefasst – laut und dreckig.

Und trotzdem haben sie ihre Berechtigung, denn sie sind vielmehr als die riesigen, vollgestopften Bierzelte. Karussells, Würstchenbuden, Süßstände – die beiden Feste bieten etwas für die ganze Familie. Das Frühlingsfest ist die erste richtige Gelegenheit draußen unterwegs zu sein, denn der Fasching ist ja doch eine eher unterkühlte Angelegenheit, und im Herbst ist das Volksfest ein guter Ausstieg aus den letzten warmen Tagen des Jahres.

Von daher sollten Kritiker der beiden größten Feste Stuttgarts es gut sein lassen. Die Menschen haben das Bedürfnis, laut zu sein und zu feiern. Wenn sie es nicht innerhalb eines kontrollierten Rahmens wie den Volksfesten tun, dann wird es woanders passieren – und womöglich noch lauter und dreckiger.

Lukas Jenkner

Contra: Volksfeste haben sich in die falsche Richtung entwickelt

Es ist mal wieder soweit – die unsägliche Großveranstaltung auf dem Cannstatter Wasen hat geöffnet. Unweigerlich denkt man an überfüllte Stadt- und S-Bahnen, alkoholisierte, lärmende Menschenmassen. Urinseen vor Häuserwänden, Erbrochenes auf Gehwegen, Schlägereien wegen Nichtigkeiten kommen noch dazu – Hallo, Stuttgarter Frühlings- und Volksfest.

Dabei hatte alles einmal so stilvoll begonnen. Im Jahre 1818 hob man ein landwirtschaftliches Fest aus der Taufe. Das Brauchtum wurde gepflegt. Kaiser, Könige und Großherzoge waren zu Gast. Es ging gesittet zu. Gut, die haben sich damals bestimmt auch schon einen hinter die Binde gegossen und ab und zu über die Stränge geschlagen. Aber sie hatten sicherlich nicht beabsichtigt, dass aus dieser traditionellen Festivität ein zweimal jährlich stattfindendes Gruppenbesäufnis wird, das irgendwo zwischen Schinkenstraße auf Mallorca und völlig aus dem Ruder laufender Fasnet changiert.

Es ist absolut unverständlich, dass niemand etwas dagegen unternimmt, dass Menschen in bayerischen Trachten die baden-württembergische Landeshauptstadt Jahr für Jahr einnehmen und zu einem alkoholgetränkten Sündenpfuhl machen. Abgestandener Gerstensaft macht aus schüchternen Männern aufdringliche Kerle, die sich verbal verheben und ihre Trinkfestigkeit nur allzu oft überschätzen. Oh Frühlingsfest – warum musste das alles so schief laufen?

Philipp Maisel