Darf der Staat die Bürger stärker zur Organspende verpflichten? Die Widerspruchsregelung kann gegen die verbreitete Trägheit der Herzen helfen, sagt Willi Reiners. Das ist ein unerlaubter Trick, entgegnet Norbert Wallet – der Spahn-Vorschlag biegt das Vermeiden einer Feststellung in eine Zustimmung um.

Stuttgart - Die Politik will die Zahl der Organspenden in Deutschland erhöhen. Wie das passieren soll, dazu gibt es verschiedene Vorschläge. Derzeit müssen mögliche Spender aktiv zugestimmt haben, bevor ihnen Organe entnommen werden können. Nach den Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und anderen Parlamentariern soll sich das ändern: Alle Volljährigen in Deutschland sollen künftig grundsätzlich als Organspender gelten – bis auf Widerruf.

 

Soll jeder Bundesbürger künftig automatisch Organspender sein? Ein Pro und Contra.

Pro

Drumherum reden hilft nicht: Täglich sterben in unserem Land Menschen, weil es an Spenderorgangen mangelt. Eine Transplantation könnte ihnen die Chance auf viele weitere Lebensjahre geben. Doch diese Patienten warten vergeblich auf ein neues Herz, eine neue Niere oder Lunge. Das liegt nicht nur am mangelnden Willen der Mitbürger, sich grundsätzlich zur Organspende bereit zu erklären, aber es liegt eben auch daran. Und alle gut gemeinten Versuche, dem durch mehr Aufklärung abzuhelfen, haben den erhofften Erfolg nicht gebracht.

Die Widerspruchsregelung stellt deshalb den logischen nächsten Schritt dar. Sie ist ein Signal gegen die verbreitete Trägheit der Herzen. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass jeder, der nicht spenden will, dies einmal klar und deutlich erklärt? Damit wäre jeder, der sich nicht erklärt, automatisch ein möglicher Spender. In vielen anderen Ländern gibt es solche Regelungen. Ich kann nicht erkennen, dass dadurch das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Selbstbestimmung eingeschränkt wird. Die Entscheidungsfreiheit bleibt doch erhalten – jeder kann sein Nein zu Protokoll geben.

Natürlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Jeder sollte sich einfach und umfassend über das Thema Organspende informieren können. Staatliche Drohkulissen haben in diesem Zusammenhang nichts, aber auch gar zu suchen. Es braucht ein Klima, in dem mehr Frauen und Männer sich ihrer ethischen Verantwortung gegenüber Mitmenschen stellen können, die sich in medizinisch auswegloser Lage befinden.

Contra

Natürlich würde die Widerspruchslösung wirken. Aber in ethischen Dingen ist nicht alles erlaubt, was wirkt. Der gute Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Die Widerspruchslösung arbeitet mit einem unerlaubten Trick. Sie umgeht den im Alltag selbstverständlichen Grundsatz, dass Schweigen keine Zustimmung bedeutet. Es gibt viele Gründe, gute und schlechte, warum Menschen eben keinen Widerspruch einlegen würden. Bequemlichkeit mag einer sein, die Scheu, sich mit den letzten Dingen des Lebens auseinanderzusetzen ein anderer. Oder auch die Unfähigkeit, in einer so komplizierten Frage zu einem endgültigen Ergebnis zu kommen. Es ist absolut nicht statthaft, dieses Vermeiden einer Festlegung in eine Zustimmung umzuinterpretieren – umzulügen.

Genau so wichtig ist es, sich die Konsequenzen des Spahn-Vorstoßes klarzumachen. Er veränderte unser Menschenbild. Seine Organe zu geben, um anderen Menschen ein Weiterleben zu ermöglichen, ist ein bewunderungswerter Akt menschlicher Zuwendung. Aus der freien Willensentscheidung gewinnt er seine Würde. Gerade weil er von der Integrität des menschlichen Körpers ausgeht und bewusst darüber hinausweist. Es gibt aber keine Pflicht zur Spende, wie es kein Recht auf Organe anderer gibt. Genau das macht die Spende zu einem besonderen Akt der Nächstenliebe. Die Widerspruchslösung etablierte aber ein Menschenbild als Normalfall, das die Spende als einforderbare Selbstverständlichkeit sieht, als Normalfall. Aber zur Würde des sterbenden Menschen gehört, dass sein Körper für niemanden verfügbar ist.