Kultur: Tim Schleider (schl)

Bin ich wirklich schon so tief gesunken? Montagabend, Freitagabend, immer dasselbe. Ich will eigentlich nur die „Tagesschau“ sehen und danach meinen Abend mit lauter wichtigen und nützlichen Tätigkeiten füllen. Zum Beispiel mit den Planungen für den Sommerurlaub. Oder einem Anruf bei Professor Doktor Hill in Hamburg (montags darf man anrufen, da guckt er keinen „Tatort“). Oder dem Beginn meines großen Romans.

 
Aber was passiert stattdessen? Nur mal schnell bei RTL reinschauen. Nur noch kurz den Anfang von „Wer wird Millionär?“ mitnehmen. Nur eben checken, wie der Kandidat heute aussieht. Und schon hänge ich drin. Eine Stunde lang. Inklusive zweier Werbeunterbrechungen. Woche für Woche. Jahr um Jahr. Ein Phänomen.

Seit 1999 sendet RTL diese Quizshow, also seit fast 14 Jahren. Es hat damals eine Weile gedauert, bis ich sie zum ersten Mal wahrgenommen habe. Ich konnte mir damals einfach nicht vorstellen, dass es interessant oder unterhaltsam sein könnte, eine Quizshow anzuschauen. Aber bald wurde ich eines Besseren belehrt. Es ist vielmehr hochinteressant und noch dazu wahnsinnig unterhaltsam, eine Quizshow zu verfolgen. Jedenfalls dann, wenn sie von Günter Jauch moderiert wird.

Machen wir uns nichts vor: „Wer wird Millionär“ würde es schon längst nicht mehr geben, wäre schon längst wieder abgesetzt wie all die hunderttausend billigen Nachahmerpräparate auf den übrigen Kanälen, wenn es nicht just diesen Moderator hätte. Nein, ich bin gar kein bedingungsloser Jauch-Fan. Als Talkmaster in der ARD beispielsweise finde ich ihn bestenfalls so schlecht und langweilig wie die übrigen ARD-Talkmaster-Kollegen auch; schlimm-stenfalls wirkt er am Sonntagabend sogar überfordert. Aber bei „Wer wird Millionär“, da ist er einfach herrlich.

Entscheidend sind ja gar nicht die Fragen. Entscheidend ist das Zwischenmenschliche. Für die Dauer der Befragung gehen Jauch und der Kandidat oder die Kandidatin bei „Wer wird Millionär“ eine heftige und leidenschaftliche Lebensabschnittsbeziehung ein; der eine will das Geld, der andere die Joker. Und man merkt es fast immer ganz schnell: Entweder mag Jauch den Kandidaten. Dann wird er ihn seelisch ein wenig unterstützen. Oder er mag ihn nicht. Dann wird es für den Zuschauer besonders lustig. Dann beginnen nämlich sein Necken und Triezen, seine verzweifelte Augenbrauen-Gymnastik, seine Spielereien mit Publikumsreaktionen. Man meint, in 14 Jahren hätte man das alles schon zigmal gesehen. Aber es gibt immer noch Variationen.

Sehr schön ist auch immer die Abteilung, wenn Jauch nach den Gewinnplänen der Kandidaten fragt. Auto- und Renovierungswünsche treffen stets auf sein größtes Interesse. Bei allen nur denkbaren Fahrzeugmarken kennt er sich aus, da hat er sogar die ab Werk lieferbaren Sonderlackierungen im Kopf. Und bei Renovierungen gibt er gern auch mal Tipps zu Fliesen- und Wandfarbenqualitäten. Ich persönlich kann mich weder für Autos noch für Renovierungsfragen begeistern. Aber Günter Jauch darüber fachsimpeln zu hören, das ist besser als manches Theater. Es ist eigentlich so unwichtig. Aber so selbstverständlich. Also doch wichtig genug.

Entscheidend sind ja gar nicht die Fragen. Entscheidend ist das Zwischenmenschliche. Für die Dauer der Befragung gehen Jauch und der Kandidat oder die Kandidatin bei „Wer wird Millionär“ eine heftige und leidenschaftliche Lebensabschnittsbeziehung ein; der eine will das Geld, der andere die Joker. Und man merkt es fast immer ganz schnell: Entweder mag Jauch den Kandidaten. Dann wird er ihn seelisch ein wenig unterstützen. Oder er mag ihn nicht. Dann wird es für den Zuschauer besonders lustig. Dann beginnen nämlich sein Necken und Triezen, seine verzweifelte Augenbrauen-Gymnastik, seine Spielereien mit Publikumsreaktionen. Man meint, in 14 Jahren hätte man das alles schon zigmal gesehen. Aber es gibt immer noch Variationen.

Sehr schön ist auch immer die Abteilung, wenn Jauch nach den Gewinnplänen der Kandidaten fragt. Auto- und Renovierungswünsche treffen stets auf sein größtes Interesse. Bei allen nur denkbaren Fahrzeugmarken kennt er sich aus, da hat er sogar die ab Werk lieferbaren Sonderlackierungen im Kopf. Und bei Renovierungen gibt er gern auch mal Tipps zu Fliesen- und Wandfarbenqualitäten. Ich persönlich kann mich weder für Autos noch für Renovierungsfragen begeistern. Aber Günter Jauch darüber fachsimpeln zu hören, das ist besser als manches Theater. Es ist eigentlich so unwichtig. Aber so selbstverständlich. Also doch wichtig genug.

Kritiker und Verächter mögen einwenden, „Wer wird Millionär“ sei redundant und betäubend. Und ich ein bisschen anspruchslos und blöd. Gewiss, es stimmt schon, eine gewisse Faszination des Formats geht davon aus, dass es eben ein Format ist und fast immer genau dasjenige kommt, was im Format vorherbestimmt ist. Aber umso größer mein Vergnügen, Günter Jauch beim Ausreizen der Spiel- und Freiräume zu beobachten. Ohne Skript. Freihändig. Sozusagen munter vor sich hin flötend. Stets das gleiche. Und doch jedes Mal anders. Wünscht man sich nicht überhaupt so sein ganzes Leben? Beruhigend geordnet. Und doch voller Überraschungen. Das ist: Günter Jauch.

Ariane Holzhausen mag den Lausbub

Bin ich wirklich schon so tief gesunken? Montagabend, Freitagabend, immer dasselbe. Ich will eigentlich nur die „Tagesschau“ sehen und danach meinen Abend mit lauter wichtigen und nützlichen Tätigkeiten füllen. Zum Beispiel mit Aufräumen, Putzen, Waschen. Oder einem Anruf bei meinen Eltern (gut, das mache ich besser nicht, die gucken nämlich auch oft „Wer wird Millionär?“). Oder dem Beginn meines großen Regelwerks des Haushalts.

Was dann passiert, kennen Millionen von Menschen. Die Sendung hatte schon Quoten, von denen selbst Boerne und Thiel aus dem Münster „Tatort“ noch träumen dürfen. Gut, dem durchgeknallten Duo schauen ja auch nur die Anspruchsvollen zu. Die mit Sinn für Skurriles. Für doppelte Böden und so. Wer „Wer wird Millionär?“ guckt, der erliegt dem Wettkampf- und Elitedenken unserer Gesellschaft, fällt auf ein einfach gestricktes, also plumpes Spiel rein. Habe ich alles schon von ausgesprochenen WWM-Hassern gehört. Ich, die dem Wettkampf- und Elitedenken unserer Gesellschaft erliegt und auf ein einfach gestricktes, also plumpes, Spiel reinfällt.

Das muss ich jetzt einfach mal so stupide wiederholen. Weil ich es nicht verstehe. Allerdings auch nach dieser Wiederholung noch nicht. Einfach gestrickt mag die Sendung ja sein – aber ist sie deswegen seicht? Elitedenken? Darf man dann auch nicht mehr Stadt, Land, Fluss spielen? Dass es das Quiz, um das sich ein recht komplexes Unterhaltungsmuster wickelt, nur in dieser Form, also mit Günther Jauch, im Vergleich zu vielen anderen heute noch gibt, zeigt: am diesem einfach gestrickten, also plumpen, Spiel, allein kann es nicht liegen. Ich weiß ja nicht, wie es den Zigtausenden anderen Fans der Sendung geht, aber wenn ich beispielsweise mit meinem Mann, meinen Eltern, meinem Bruder oder Freunden über die Sendung rede, dann geht das immer weit über das „Hättest Du das gewusst?“ hinaus. Es geht vielmehr um wer weiß was – und warum? Da kommen generationsübergreifende Anekdoten ans Tageslicht, die ohne WWM wahrscheinlich für immer unausgesprochen geblieben wären.

Und nicht zuletzt geht es natürlich immer um ihn, um Günther Jauch. Um Muskelzuckungen in seinem Gesicht, seine Pro- und Anti-Grimassen, mit denen er kaum verheimlichen kann, welchen Kandidaten er mag – oder eben so gar nicht. Wie Günther Jauch mal wieder ohne mit der Wimper zu zucken, eine jener Unverschämtheiten rausgehauen hat, die ihm nur deswegen keiner übel nimmt, weil er das auf seine nie von anderen Moderatoren erreichte Lausbuben-Art macht. Wenn es beim Fernsehen immer wieder um das viel beschworene „letzte große Lagerfeuer“ geht, das Generationen vor dem Bildschirm vereint, so wie es „Wetten, dass. . ?“ zu seinen besten Zeiten noch hinbekommen hat, dem nun aber schon lange kaum noch ein bloßes Glimmen zugesprochen wird, kann man sich schon mal fragen, warum keiner WWM diese Rolle zutraut und -schreibt.

Günther Jauch setzte in einer Folge plötzlich eine Brille auf. Mit seiner so kurierten Sehschwäche wollte er nach eigener Aussage zur Weiterentwicklung der Sendung beitragen. Das ist Humor. Alice Schwarzer tigerte in einer Spezial-Ausgabe auf der Suche nach der Antwort durchs Studio und bekam für diesen Auftritt eine Auszeichnung. Das ist skurril. Die Joker-Definitionen, also Telefon-Joker, Fitfty-Fifty- und Publikumsjoker sind inzwischen im Duden nachzulesen. Auch das ist neben vielen anderen WWM-Szenen Geschichte schreibend. Wer in einer Diskussion nicht mehr weiter weiß, fragt längst wie selbstverständlich, ob er denn nicht jemanden anrufen könne. Und natürlich gibt es inzwischen auch eine auch im Internet nachlesbare Konfirmationspredigt über „Wer wird Millionär?“. So weit ist es mit einer dem Wettkampf- und Elitedenken unserer Gesellschaft erlegenen Sendung und einem einfach gestrickten, also plumpen Spiel in unserer Gesellschaft gekommen. Es gibt sicher sehr viel Schlimmeres.

69 Millionenfragen

„Ich würde einräumen, dass die Sendung wohl ganz gut zu mir passt. Jenseits des Abfragens von a, c oder d, jenseits vom Wundern über Wissen oder Nicht-Wissen macht es mir großen Spaß, die Menschen dabei zu beobachten, sie in ihrer Hybris, in ihrer Verzweiflung oder auch in ihren Minderwertigkeitskomplexen zu begleiten. Da kann man ein ganz neues Psycho-Genre abdecken, das hatte ich mir vorher nicht zugetraut“ – das sagte Günther Jauch vor mehr als zehn Jahren der „Welt“. Den Spaß merkt man ihm auch heute noch an.

Die Millionenfrage wurde insgesamt 69 Mal gestellt. 11 mal lösten Kandidaten die Millionenfrage (darunter drei Prominente). 80 Fragen werden pro Sendung vorbereitet. 215 Zuschauer passen in das Studio. Eintrittskarten werden nur über eine Warteliste vergeben, die Wartezeit kann manchmal über zwei Jahre dauern.

Am Freitag gibt es die normale Ausgabe bei RTL um 20.15 Uhr. Am Montag, 3. Juni, beginnt um 20.15 Uhr das große Prominentenspecial. Zu Gast werden die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), der Komiker Olli Dittrich, die Drag-Queen Olivia Jones und der Fernsehkoch Steffen Henssler sein. Am Montag, 10. Juni, gibt es noch eine Doppelsendung, danach geht Jauch mit WWM in die Sommerpause .