Kultur: Tim Schleider (schl)

Bin ich wirklich schon so tief gesunken? Montagabend, Freitagabend, immer dasselbe. Ich will eigentlich nur die „Tagesschau“ sehen und danach meinen Abend mit lauter wichtigen und nützlichen Tätigkeiten füllen. Zum Beispiel mit Aufräumen, Putzen, Waschen. Oder einem Anruf bei meinen Eltern (gut, das mache ich besser nicht, die gucken nämlich auch oft „Wer wird Millionär??“). Oder dem Beginn meines großen Regelwerks des Haushalts.

 
Was dann passiert, kennen Millionen von Menschen. Die Sendung hatte schon Quoten, von denen selbst Boerne und Thiel aus dem Münster „Tatort“ noch träumen dürfen. Gut, dem durchgeknallten Duo schauen ja auch nur die Anspruchsvollen zu. Die mit Sinn für Skurriles. Für doppelte Böden und so. Wer „Wer wird Millionär?“ guckt, der erliegt dem Wettkampf- und Elitedenken unserer Gesellschaft, fällt auf ein einfach gestricktes, also plumpes Spiel rein. Habe ich alles schon von ausgesprochenen WWM-Hassern gehört. Ich, die dem Wettkampf- und Elitedenken unserer Gesellschaft erliegt und auf ein einfach gestricktes, also plumpes, Spiel reinfällt.

Das muss ich jetzt einfach mal so stupide wiederholen. Weil ich es nicht verstehe. Allerdings auch nach dieser Wiederholung noch nicht. Einfach gestrickt mag die Sendung ja sein – aber ist sie deswegen seicht? Elitedenken? Darf man dann auch nicht mehr Stadt, Land, Fluss spielen? Dass es das Quiz, um das sich ein recht komplexes Unterhaltungsmuster wickelt, nur in dieser Form, also mit Günther Jauch, im Vergleich zu vielen anderen heute noch gibt, zeigt: am diesem einfach gestrickten, also plumpen, Spiel, allein kann es nicht liegen. Ich weiß ja nicht, wie es den Zigtausenden anderen Fans der Sendung geht, aber wenn ich beispielsweise mit meinem Mann, meinen Eltern, meinem Bruder oder Freunden über die Sendung rede, dann geht das immer weit über das „Hättest Du das gewusst?“ hinaus. Es geht vielmehr um wer weiß was – und warum? Da kommen generationsübergreifende Anekdoten ans Tageslicht, die ohne WWM wahrscheinlich für immer unausgesprochen geblieben wären.

Und nicht zuletzt geht es natürlich immer um ihn, um Günther Jauch. Um Muskelzuckungen in seinem Gesicht, seine Pro- und Anti-Grimassen, mit denen er kaum verheimlichen kann, welchen Kandidaten er mag – oder eben so gar nicht. Wie Günther Jauch mal wieder ohne mit der Wimper zu zucken, eine jener Unverschämtheiten rausgehauen hat, die ihm nur deswegen keiner übel nimmt, weil er das auf seine nie von anderen Moderatoren erreichte Lausbuben-Art macht. Wenn es beim Fernsehen immer wieder um das viel beschworene „letzte große Lagerfeuer“ geht, das Generationen vor dem Bildschirm vereint, so wie es „Wetten, dass. . ?“ zu seinen besten Zeiten noch hinbekommen hat, dem nun aber schon lange kaum noch ein bloßes Glimmen zugesprochen wird, kann man sich schon mal fragen, warum keiner WWM diese Rolle zutraut und -schreibt.

Günther Jauch setzte in einer Folge plötzlich eine Brille auf. Mit seiner so kurierten Sehschwäche wollte er nach eigener Aussage zur Weiterentwicklung der Sendung beitragen. Das ist Humor. Alice Schwarzer tigerte in einer Spezial-Ausgabe auf der Suche nach der Antwort durchs Studio und bekam für diesen Auftritt eine Auszeichnung. Das ist skurril. Die Joker-Definitionen, also Telefon-Joker, Fitfty-Fifty- und Publikumsjoker sind inzwischen im Duden nachzulesen. Auch das ist neben vielen anderen WWM-Szenen Geschichte schreibend. Wer in einer Diskussion nicht mehr weiter weiß, fragt längst wie selbstverständlich, ob er denn nicht jemanden anrufen könne. Und natürlich gibt es inzwischen auch eine auch im Internet nachlesbare Konfirmationspredigt über „Wer wird Millionär?“. So weit ist es mit einer dem Wettkampf- und Elitedenken unserer Gesellschaft erlegenen Sendung und einem einfach gestrickten, also plumpen Spiel in unserer Gesellschaft gekommen. Es gibt sicher sehr viel Schlimmeres.