Der Graben zwischen Politik und Wahlvolk ist seit Langem unverkennbar. Eine Wurzel der Entfremdung ist die abgehobene, hohle Sprache der Politiker. Damit verkleistern sie, wenn sie wenig Neues zu sagen haben. Wer Konkretes schuldig bleibt, verharrt lieber im Ungefähren. Klartext vermeiden sie auch aus der Erfahrung heraus, dass ihnen frühzeitige Festlegungen später negativ ausgelegt werden könnten. Das Vermittlungsproblem der Politik führt dazu, dass die Wähler in den Onlineforen und sozialen Netzwerken längst ihre eigenen Debatten betreiben. Der politische Diskurs steckt in der Krise.

 

Gerade im Osten Deutschlands zeigt sich, wie sehr sich Bürger abschotten und eigene (rassistische) Wahrheiten verbreiten. SPD-Chef Sigmar Gabriel kennzeichnet den Zustand fauliger Demokratie, indem er die Rechtsextremisten von Heidenau als „Pack“ und „Mob“ bezeichnet. Der Jargon wirkt bei Gabriel authentischer als bei anderen Volksvertretern. Doch war dies kein emotionaler Ausbruch, sondern wohlkalkulierte Empörung. Gabriels Adressaten sind nicht nur die Täter, sondern auch die Mitläufer, Pegida-Sympathisanten gewissermaßen. Er fordert sie heraus, für oder gegen das „Pack“ Position zu beziehen.

Verachtung für Zeitgenossen, die Brandsätze und Steine gegen Flüchtlingsunterkünfte werfen oder die – wie gerade in Berlin geschehen – auf Kinder ausländischer Herkunft urinieren, lässt sich in vielfacher Weise ausdrücken. Der Bundesinnenminister etwa vernebelt die Taten, wenn er mahnt, dass die Randalierer „den Konsens der Demokraten verlassen“. Diese Worte gehen an der rechten Klientel völlig vorbei. Das Vokabular der Straße hingegen verstehen sie.

Die Aufmerksamkeit, die Til Schweiger für sein Flüchtlingsengagement erntet, hat viele Gründe – auch sein schlichter Ton, der zuweilen ins Prollige abgleitet. Dies lässt ihn für viele glaubwürdig erscheinen, sie loben seinen ungewöhnlichen Einsatz. So dient die Diktion der Sache. Politik sollte den Sprachverfall nicht übernehmen. Sie verliert aber nicht gleich ihre Würde, wenn sich ein Minister auch mal verbal auf Stammtischniveau begibt. Mit simplen Worten widerwärtige Verhaltensweisen zu brandmarken, muss möglich sein. Es ist in doppeltem Sinne verständlich.

Matthias Schiermeyer

Verachtung für Zeitgenossen, die Brandsätze und Steine gegen Flüchtlingsunterkünfte werfen oder die – wie gerade in Berlin geschehen – auf Kinder ausländischer Herkunft urinieren, lässt sich in vielfacher Weise ausdrücken. Der Bundesinnenminister etwa vernebelt die Taten, wenn er mahnt, dass die Randalierer „den Konsens der Demokraten verlassen“. Diese Worte gehen an der rechten Klientel völlig vorbei. Das Vokabular der Straße hingegen verstehen sie.

Die Aufmerksamkeit, die Til Schweiger für sein Flüchtlingsengagement erntet, hat viele Gründe – auch sein schlichter Ton, der zuweilen ins Prollige abgleitet. Dies lässt ihn für viele glaubwürdig erscheinen, sie loben seinen ungewöhnlichen Einsatz. So dient die Diktion der Sache. Politik sollte den Sprachverfall nicht übernehmen. Sie verliert aber nicht gleich ihre Würde, wenn sich ein Minister auch mal verbal auf Stammtischniveau begibt. Mit simplen Worten widerwärtige Verhaltensweisen zu brandmarken, muss möglich sein. Es ist in doppeltem Sinne verständlich.

Matthias Schiermeyer

Kontra – Fataler Fehler

Es ist ein zivilisatorischer Erfolg, dass Menschen einander nicht aggressiv begegnen, auch wenn sie sich fremd sind, sich seltsam, unsympathisch oder latent gefährlich finden. Und es ist eine demokratische Errungenschaft, dass der politische Diskurs die Meinungsfreiheit respektiert, ohne Andersdenkende herabzusetzen. Man mag es einem Schauspieler und Regisseur wie Til Schweiger nachsehen, wenn er sich in pubertärer Prollattitude in Talkshows gefällt. Aber der Vizekanzler macht einen Fehler, wenn er der Verrohung, die er bei den Randalierern von Heidenau zu Recht beklagt, in der Weise seines Redens selbst nachgibt.

Üblicherweise sind es Rechtsextreme, die sich als „deutsch“ und alle anderen als „undeutsch“ bezeichnen; Neonazis sagen „Pack“, wenn einer anders ist und anders denkt als sie. Wenn Sigmar Gabriel diese vergifteten Worte gegen die Aggressoren von Heidenau wendet, mag das gut gemeinte Absicht sein. Aber sein Ziel verfehlt er fatal: Statt sich unzweideutig von den Steinewerfern abzugrenzen, macht Gabriel sich sprach mit ihnen gemein. Er macht die verächtlich, deren Haltung er verachtet, und kommt dabei mit dem Wesenskern der Demokratie in Konflikt. Natürlich ist es falsch, strafbar, abscheulich, herzlos, unmenschlich und verachtenswert, dass Flüchtlinge attackiert und mit Steinen beworfen werden. Natürlich muss der Rechtsstaat einschreiten. Natürlich müssen Demokraten solche Exzesse bekämpfen.

Aber „Pack“ kommt sprachgeschichtlich von „Gepäck“ und „Bagage“ bezeichnete in früheren Zeiten den allseits gefürchteten Tross von Heeren. „Pack“ bedeutet die Entmenschlichung der Täter. Die aber verbietet sich aus Respekt vor der Menschenwürde, die unantastbar ist, und vor dem Freiheitsgebot der Demokratie, das gerade die Andersdenkenden schützt. Gabriels Wortwahl mag am Stammtisch gang und gäbe sein, das ist schlimm genug. Als Beitrag zur politischen Debatte ist sie nicht akzeptabel. Pöbeleien vergiften die Atmosphäre, sie nähren Hass und Aggression. Selbst dem widerwärtigsten politischen Gegner darf man das Menschsein nicht absprechen. Wer auch immer von Pack redet, ist im Unrecht. So schwer ist Demokratie.

Bärbel Krauß