Es ist ein zivilisatorischer Erfolg, dass Menschen einander nicht aggressiv begegnen, auch wenn sie sich fremd sind, sich seltsam, unsympathisch oder latent gefährlich finden. Und es ist eine demokratische Errungenschaft, dass der politische Diskurs die Meinungsfreiheit respektiert, ohne Andersdenkende herabzusetzen. Man mag es einem Schauspieler und Regisseur wie Til Schweiger nachsehen, wenn er sich in pubertärer Prollattitude in Talkshows gefällt. Aber der Vizekanzler macht einen Fehler, wenn er der Verrohung, die er bei den Randalierern von Heidenau zu Recht beklagt, in der Weise seines Redens selbst nachgibt.

 

Üblicherweise sind es Rechtsextreme, die sich als „deutsch“ und alle anderen als „undeutsch“ bezeichnen; Neonazis sagen „Pack“, wenn einer anders ist und anders denkt als sie. Wenn Sigmar Gabriel diese vergifteten Worte gegen die Aggressoren von Heidenau wendet, mag das gut gemeinte Absicht sein. Aber sein Ziel verfehlt er fatal: Statt sich unzweideutig von den Steinewerfern abzugrenzen, macht Gabriel sich sprach mit ihnen gemein. Er macht die verächtlich, deren Haltung er verachtet, und kommt dabei mit dem Wesenskern der Demokratie in Konflikt. Natürlich ist es falsch, strafbar, abscheulich, herzlos, unmenschlich und verachtenswert, dass Flüchtlinge attackiert und mit Steinen beworfen werden. Natürlich muss der Rechtsstaat einschreiten. Natürlich müssen Demokraten solche Exzesse bekämpfen.

Aber „Pack“ kommt sprachgeschichtlich von „Gepäck“ und „Bagage“ bezeichnete in früheren Zeiten den allseits gefürchteten Tross von Heeren. „Pack“ bedeutet die Entmenschlichung der Täter. Die aber verbietet sich aus Respekt vor der Menschenwürde, die unantastbar ist, und vor dem Freiheitsgebot der Demokratie, das gerade die Andersdenkenden schützt. Gabriels Wortwahl mag am Stammtisch gang und gäbe sein, das ist schlimm genug. Als Beitrag zur politischen Debatte ist sie nicht akzeptabel. Pöbeleien vergiften die Atmosphäre, sie nähren Hass und Aggression. Selbst dem widerwärtigsten politischen Gegner darf man das Menschsein nicht absprechen. Wer auch immer von Pack redet, ist im Unrecht. So schwer ist Demokratie.

Bärbel Krauß