Während der Corona-Pandemie sind Fußballclubs in ihrer Existenz bedroht, die ganze Branche kämpft ums Überleben. Welche Auswirkungen wird das haben, wenn die Krise überwunden ist und der Ball wieder rollt? Wird es so weitergehen wie vorher? Oder folgt eine Zeitenwende? Unsere Redakteure sind unterschiedlicher Meinung.

Stuttgart - Das Coronavirus hat auch das Fußballgeschäft mit voller Wucht getroffen. Der Spielbetrieb ist ausgesetzt, viele Vereine sind in ihrer Existenz bedroht, die gesamte Branche kämpft ums Überleben, wie auch VfB-Sportdirektor Sven Mislintat bestätigt. Wie geht es weiter, wenn wieder gespielt wird? Wird sich der Fußball verändern?

 

Pro: Lektion für die Strippenzieher

Unser Sportredakteur Marko Schumacher glaubt an eine Zeitenwende:

Irgendwann wird der Ball wieder rollen, der Anhang wieder ins Stadion pilgern, das Geld vom Fernsehen wieder die leeren Kassen der Vereine füllen. Der Bundesliga-Alltag wird zurückkehren und die große Corona-Krise allmählich in Vergessenheit geraten. Wann es so weit sein wird, bleibt vorerst völlig ungewiss – klar hingegen ist: Das Fußballgeschäft wird dann ein anderes sein. Die momentane Situation ist nicht vergleichbar mit früheren Krisen wie dem Zusammenbruch des Kirch-Imperiums. Damals war nur der Fußball betroffen, jetzt stellt ein Virus alle Bereiche des Lebens auf den Kopf. Es wird die Gesellschaft verändern – ein Weiter-so kann und wird es auch im Fußball nicht geben.

Viel zu lange haben die großen Strippenzieher in ihrer grenzenlosen Gier alles dafür getan, um noch mehr Geld aus ihrem Unterhaltungsprodukt zu pressen. Der Protest der Fans gegen die außer Kontrolle geratene Kommerzialisierung mag sie nicht gekümmert haben – dem Coronavirus aber sind auch sie hilflos ausgeliefert. Der gesamte Profifußball ist in seiner Existenz bedroht und wird daraus seine Lehren ziehen.

Ganz zwangsläufig wird einerseits den Exzessen auf dem Transfermarkt oder der steten Verdichtung des Fußballkalenders ein Ende bereitet. Andererseits täte man den Akteuren, denen man bisher alles zugetraut hatte, Unrecht, würde man unterstellen, dass jetzt nicht auch sie ihr Handeln hinterfragen. Wenn ausgerechnet Fifa-Chef Gianni Infantino laut über „einen Schritt zurück“, „weniger Turniere“ und „weniger Spiele“ nachdenkt, mag dies zwar zunächst scheinheilig klingen, doch nährt auch das die Hoffnung, dass der Fußball dabei ist, seine Lektion zu lernen. Die Zeitenwende, sie ist endlich gekommen – das ist immerhin eine gute Nachricht in diesen trüben Zeiten.

Kontra: Stunde der Moralapostel

Unser Sportredakteur Marco Seliger glaubt an ein Weiter-so:

Alles wird anders? Alles besser? Und morgen kommt der Weihnachtsmann! Wer daran glaubt, dass sich im Profifußball dauerhaft etwas ändert, der sei hier kurz an das peinliche und verantwortungslose Krisenmanagement des deutschen Profifußballs Mitte März erinnert. Als die Corona-Epidemie zur Pandemie geworden war, als Schulen geschlossen wurden, da wollte die DFL noch einen Spieltag durchziehen – bis zwei Stunden vor dem Anpfiff der Freitagsspiele der Druck dann doch zu groß wurde.

Und nun, zwei Wochen später, ist alles anders? Gut, jetzt haben offenbar sogar die letzten Verantwortlichen kapiert, dass es blöd wäre, wenn die Liga bald nur noch aus zwölf Clubs bestünde, weil ein paar Vereine ohne Hilfe der anderen pleitegingen. Aber sonst? Am Selbstverständnis der Branche, dass es nichts Wichtigeres gibt als Fußball, hat sich nichts geändert. Das zeigen die Pläne, so schnell wie möglich Geisterspiele austragen zu wollen – samt einer Hundertschaft an Menschen, die für die TV-Übertragung rund ums Stadion Bilder produzieren müsste.

Die Welt steht still, aber der Ball rollt – so tickt der Fußball. Der Verweis auf das Schicksal vieler Menschen, deren Jobs an der Bundesliga hängen, kommt dabei scheinheilig daher. Denn als sich die Liga und die Vereine die Taschen vollstopften, bedachten sie nicht, dass die goldenen Jahre mal vorbei sein könnten. Erst jetzt, da es fast zu spät ist, wird die Verantwortung für Gesellschaft und Club-Angestellte betont.

Apropos Verantwortung: Dass nun die weltfremden Ablösesummen sinken werden – das wiederum ist nicht einer neuen Moral geschuldet. Das regelt allein der freie Markt, der sich durch die Corona-Pandemie ändert.

Der Fußball bleibt der Fußball – oder: Alles bleibt anders.